Bis zum Ende der Welt
Uniform vor ihr. Aber das interessierte sie gar nicht. Wie eine Keule schwang sie ihre Fernbedienung und deutete auf den Bildschirm, auf dem die Panzer rollten. «Sie wollen Friedenstruppen senden! Hurra! Friedenstruppen! Was für Soldaten sollen das bitte sein – Friedenssoldaten? Gibt es so was? Schießen die mit Friedensmunition? Wahrscheinlich werden sie auch ein paar Friedensbomben werfen! Und ich wette mit dir, dass sich irgendein dummer portugiesischer Friedensgeneral findet, der da unbedingt mitmachen will! Sind ja nicht seine Söhne. Sind ja nur die von ein paar einfachen, armen Leuten, wie wir es sind. O Jesus Maria!», rief sie und hob die Hände (mit der Fernbedienung) zum Himmel, wo über ihr, über dem herzkranken Alkoholiker ein Stockwerk höher, über der alleinerziehenden Mutter mit den getönten Haaren und den wechselnden Freunden und den zwei klauenden Kindern, über dem schweigenden Nachtwächter aus Mosambik, über dem kettenrauchenden Veteranen im Rollstuhl, dem riesige Büschel gelb-weißer Haare aus den Ohren wuchsen, über dem Studentenpärchen, das sich im Jahr darauf trennen sollte (woraufhin sie versuchte, sich mit Schlaftabletten umzubringen, aber nur Pillen zum Abführen erwischte, sodass der gesamte Abflussstrang in diesem Teil des Mietshauses eine Woche lang verstopft und also nicht zu benutzen war), über dem Dach, auf dem die Satelliten-Spiegel vor sich hin rosteten, über dem aufsteigenden Dröhnen des Berufsverkehrs und dem Lärm zur Landung ansetzender Flugzeuge, über dem Smog von Odivelas, irgendwo, allen privaten Säkularisierungsversuchen meines Vaters zum Trotz, immer noch der Allmächtige wohnte und wahrscheinlich gerade mit meiner Mutter einer Meinung war.
Sie sah mich an. «Ist das die neue Uniform?»
«Ja, Mama.»
«Die Stiefel gehören auch dazu?»
«Ja.»
«Du siehst aus wie einer von der Shilo Ranch.» Sie zog eine Grimasse. «Wenn dich dein Vater so sehen könnte.»
In diesem Moment wichen Hohn und Bitterkeit aus ihrem Gesicht und machten der Trauer und der zärtlichen Erinnerung an meinen Vater Platz, der damals bereits seit über vier Jahren tot war, gestorben an einer Krankheit, für die es keine Heilung gab, für deren Heilung meine Eltern allerdings ihre verbliebenen Ersparnisse ausgegeben und schließlich auch das Haus verkauft hatten. Vergeblich.
Mein Vater hatte sich immer gewünscht, dass ich studiere, war fest davon überzeugt gewesen, dass seinem Sohn, dem er (gegen den Widerstand seiner Frau und des Allmächtigen) den Vornamen eines überzeugten Kommunisten und Helden der Sowjetunion gegeben hatte, etwas Außergewöhnliches gelingen werde. «Du kannst Wissenschaft studieren und dann zum Beispiel mit so einem Space Shuttle ins All fliegen, wo du in der Schwerelosigkeit ein neues chemisches Element entdeckst, das später deinen Namen bekommt – Gouveium! Oder du beobachtest einen unbekannten Stern – Alpha Gouveia! Ach», hatte er geseufzt, «du hast so viele Möglichkeiten. Das macht mich manchmal richtig neidisch!» Noch auf seinem Sterbebett hatte er meine Mutter angewiesen, sie solle, was von den Ersparnissen noch übrig sei, für mein Studium ausgeben. Er wusste nicht oder hatte es vergessen: Es war kein Geld mehr da.
Nach seinem Tod begann jene Zeit, in der wir wie Vagabunden lebten und meine zwei älteren Schwestern Männer heirateten, die sie, hätten sie Geld gehabt, wohl nicht so schnell geheiratet hätten. Meine Mutter und ich wechselten häufig die Wohnungen, je nachdem, wo sie gerade Arbeit bekam – als Küchenhilfe und später als Näherin. Damals waren die Löhne in Portugal niedrig, so niedrig wie nirgends sonst in Europa, und deswegen wurde in die Textilindustrie investiert, was so lange gutging, bis die Manager der Firmen entdeckten, dass man in der Türkei oder in Pakistan oder in China noch billiger nähen lassen konnte.
Ich erinnere mich an diese ersten Jahre nach dem Tod meines Vaters als eine Zeit ständiger Knappheit, erinnere mich an die Angst meiner Mutter, auch nur einen Escudo zu viel auszugeben, weil dann das Geld am Ende des Monats für das Überleben im nächsten nicht reichen würde. Das war einer der Gründe, warum ich mich zur Nationalgarde meldete.
Der andere Grund lag tiefer.
Ich wollte endlich Portugiese sein. Ein ganzer Portugiese, nicht nur ein halber, zugewanderter, Kind einer Familie, die es in Deutschland nicht geschafft hatte. Das sollte die Uniform für mich erledigen. Das war der geheime Handel,
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