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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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den Flur schlich. Bemüht, kein Geräusch zu verursachen, drückte sie die Klinke zu Laskas Tür, trat ein und stand dann eine Weile da, bevor sie sich neben sein Bett hockte. Laska schlief, oder er tat, als schliefe er, sie wusste es nicht. Sein Atem ging gleichmäßig, klang ruhig wie bei einem schlafenden Kind, als sie flüsterte: «Du bist gar nicht krank, du stirbst nicht, du bist ein Lügner. Aber das ist gut so. Es ist gut.»
     
     
    Die Wochen vergingen, aber sie hatte das Bewusstsein für die einzelnen Wochentage verloren. Laska besaß auch hier, in Portugal, einen alten Röhrenfernseher, den er allerdings nie anmachte, und ein Transistorradio, das in der Küche stand und meistens schwieg. Selten führte er Gespräche mit seinem Handy, ein klobiges, bestimmt zehn Jahre altes Gerät aus dunkelblauem Plastik mit einer kurzen, dicken schwarzen Antenne, das er in einem albernen Ledertäschchen aufbewahrte. Wenn ihn jemand anrief, so viel hörte Anna heraus, dann waren das Amateurastronomen wie er, und es ging um technische Fragen, um Verbesserungen an der Teleskop-Montierung zum Beispiel. Den Computer nutzte er hauptsächlich für die Kometensuche.
    Früher hätte Anna keinen Tag lang ausgehalten ohne Mobiltelefon, ohne SMS , ohne E-Mail, ohne Internet. In Kiew hatte sie manchmal Stunden im Internetcafé neben der Universität vertrödelt, und als sie in Wiktors Fänge geraten war, hatte sie im ersten Moment gar nicht gewusst, was schlimmer war: dass er ihr den Pass oder das Handy abgenommen hatte. Jetzt war ihr das alles egal. Im Gegenteil, auf eine eigenartige Weise fühlte sie sich frei.
    Im Observatorium stand neben den Teleskopen, den Ablagen für Okulare, den Vorrichtungen für die Kamera und den Anschlüssen für den Computer auf einem Tisch auch ein grünes Schnurtelefon. Es war eingestaubt und sah nicht so aus, als ob es noch funktionieren würde. Sie fragte ihn, wozu es gut sei.
    «Ich hatte mir eine Leitung vom Haus hierher gelegt. Damit ich das Telefon auch im Observatorium höre. Ist lange her.»
    Sie hob den Hörer ab, das Freizeichen erklang.
    «Du hast recht», sagte er, «ich sollte es demnächst mal abmelden. Ruft ja sowieso nie jemand an. Ja, das sollte ich wohl wirklich.»
    Sie dachte, dass er noch einiges mehr abmelden müsste, fragte sich schon seit langem, was mit alldem hier geschehen würde, doch sie wagte nicht, die Sprache darauf zu bringen. Jede Antwort hätte sie mit eingeschlossen, und sie wollte nicht, dass es endete. Wenn sie in der Abenddämmerung über die Hügel zum Atlantik hinunterblickte, über dem der sichelförmige Mond hing, und die entfernten Lichter großer Passagierschiffe oder Tanker sah, spürte sie, dass dies alles ihr schon zu vertraut geworden war.
    Eines Abends kam Laska mit mehr Tüten als üblich vom Einkaufen zurück. Er stellte sie auf dem großen Tisch ab, verstaute einen Teil des Tüteninhalts im Kühlschrank und ging dann in den Garten. Mit ein paar Pinienzweigen tauchte er wieder auf.
    «Was ist los?», fragte sie.
    «Weihnachten», antwortete er. «Ihr feiert das erst nach Neujahr, stimmt’s? Tut mir leid – ich bin zu alt, um mich diesbezüglich noch mal umzustellen.»
    Er stand den halben Abend in der Küche, dann war das Essen fertig. Sogar Kerzen hatte er gekauft.
    «Revanchistenklopse?»
    «Piri-Piri-Huhn. Das Rezept habe ich vom Friseur.»
    «Du hast einen Friseur?»
    Er strich sich durch das schüttere Haar. «Ja, wieso?»
    «Und der hat dir ein Rezept verraten?»
    «Nicht direkt. Er hat immer Magazine rumliegen. Auch so Frauenzeitschriften, und in einer habe ich es gefunden.»
    Das Essen schmeckte gut, war ihm allerdings ziemlich scharf geraten. Tränen liefen Anna die Wangen hinunter, als er hinter sich griff. Sie schloss die Augen: Bitte keine Kette, dachte sie, keine Uhr, keinen Ring.
    «Fröhliche Weihnachten», sagte er und stellte einen Karton auf den Tisch.
    Es war ein Fernglas.
    «Du hast mir mal erzählt, du hättest die ersten Beobachtungen mit dem Feldstecher deines Großvaters gemacht. Da habe ich mir gedacht … willst du es nicht rausnehmen?»
    Sie nahm es in die Hände, der schwarze, schimmernde Körper fühlte sich kühl an.
    «Ein ausgezeichnetes Glas.» Da war er wieder, der jungenhafte Stolz. «Lichtstark und – was ist, gefällt es dir nicht?»
    Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. «Das Essen war so scharf.»
    «Es ist immer noch leicht genug, dass man kein Stativ braucht. Am besten beobachtet

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