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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Zähringer
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tastete nach einem Lichtschalter links und rechts neben der Tür, aber es brauchte eine ganze Weile, bis sie ihn fand – er war in Kopfhöhe angebracht worden. Als sie ihn betätigte, hörte sie ein Surren – der Starter der Leuchtstoffröhre, die jetzt über ihr zu flackern anfing. Erst nach einer halben Minute entschloss sich die alte Lampe anzugehen und füllte den Raum mit staubigem Neonlicht.
    Rechts in dem engen Raum stand tatsächlich ein vorinstallierter Plastiköltank, aber dahinter war noch etwas anderes. Sie ging ein paar Schritte darauf zu.

[zur Inhaltsübersicht]
    10
    Es gibt eine Theorie, nach der wir alle das Ergebnis unwahrscheinlicher Katastrophen sind. Oder einer seltenen Glückssträhne bei Gottes endloser Würfelei: Eine Supernova explodierte vor Jahrmilliarden in der Nähe der jungen Sonne und versorgte sie mit Material für den planetaren Nebel, eine andere Nova schubste sie vom unruhigen Zentrum der Milchstraße hinaus in einen der friedlichen Seitenarme, fernab des gefräßigen Schwarzen Lochs in der Mitte der Galaxie, wo sich um sie herum die Planeten und auf wenigstens einem davon Lebewesen entwickeln konnten.
    Als wir wieder in Portugal im Heimatort meiner Eltern wohnten, kurz bevor ich begann, mich für Mädchen zu interessieren, hatte ich in der Schulbibliothek ein Buch gefunden, das «Die Urzeit» hieß und die Entstehung des Sonnensystems und der Erde und des Lebens in prächtig gezeichneten und mit dramatischen Texten unterlegten Bildern darstellte. Diese Bilder regten meine Phantasie mehr an als alles andere. Da war die noch glühende Erdkruste, da waren feuerspeiende Vulkane, dort die züngelnden Blitze über dem Urozean. Ich stellte mir vor, ein Trilobit, ein Urkrebs, zu sein, der über den Grund eines warmen Meeres glitt, träumte von Wanderungen durch prähistorische Dschungel, von Kämpfen mit der grausigen Tyrannenechse und wie sie zu bezwingen sei. Am meisten faszinierte mich das Aussterben der Dinosaurier. An dieser Stelle des Buches wurden die Bilder düster, der Text noch geheimnisvoller, als er es für mich sowieso schon war: Nur Vermutungen, hieß es, gebe es über die Ursache für das Verschwinden der Riesenechsen, die Millionen Jahre lang die Erde beherrscht hätten. Es gab Zeichnungen, auf denen ich Saurier ziellos durch eine Wüstenlandschaft irren sah, auf Trampelpfaden, die gesäumt waren mit den Gerippen ihrer Artgenossen, zu denen die vom Zeichner mit einem fast traurigen Ausdruck versehenen Tiere, zwei Seiten zuvor noch rücksichtslose Fressmonster, beinahe mitleidig hinabblickten. «Führten Klimaveränderungen zum allmählichen Austrocknen der Sümpfe», las ich, «und damit zum Verschwinden der Nahrungsgrundlage dieser Kolosse?»
    Ein weiteres Bild zeigte rattenähnliche Nagetiere. «Unsere Vorfahren, die ersten Säugetiere, waren nicht sehr groß, aber flink und fähig, sich veränderten Bedingungen anzupassen.» Man sah, wie sich diese behaarten Opportunisten gierig über die Eier der Dinos hermachten. «Mit Sicherheit haben auch sie einen Anteil am Exodus jener Spezies, die über Jahrmillionen die unangefochtenen Herren der Erde waren.»
    Weil sich meine Eltern keine Privatschule leisten konnten, ging ich auf eine katholische Schule. Unser Lehrer war auch unser Pater. Er hatte kein Problem mit der Urzeit. Für ihn war der Dauerregen, der in der wasserdampfgeschwängerten Atmosphäre der noch heißen Urerde ununterbrochen herniederprasselte, nur die detaillierter beschriebene Sintflut. Veränderung, Anpassung, Evolution, das Neue ersetzte das Alte … Ob der Mensch nun vom Affen abstammte oder nicht, war ihm egal. Vom ersten kriechenden Lurch des Devon bis hin zu mir, dem im Holozän in der ersten Bankreihe schwitzenden Yuri Fernao Gouveia, gab es einen lückenlosen, vernünftigen Plan – Gottes Plan.
    Ich wüsste gerne, was er dachte, nachdem sie Jahre später diesen Riesenkrater im Meer vor Mexiko entdeckt hatten und darauf gekommen waren, dass der fünfzehn Kilometer große Meteor, der ihn verursacht haben musste, die Saurier wahrscheinlich innerhalb weniger Monate, innerhalb eines erdgeschichtlichen Wimpernschlags, ausgelöscht hatte. Kein langsames Austrocknen irgendwelcher Sümpfe, keine Eier fressenden Säuger. Einfach peng! und vorbei. Alles passiert irgendwann zum ersten Mal. Wenn dieser Brocken an unserem Planeten vorbeigeflogen wäre, gäbe es uns nicht. Das war nicht das Werk eines weisen, planvollen Gottes. Da hatte ein Spieler am Tisch

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