Bis zum Hals (T-FLAC) (German Edition)
schwarze Wasser hineinziehen lassen. Sollten sie untergehen, würde es nicht daran liegen, dass er sich nicht genügend gewehrt hatte. Allmächtiger…
Fast betäubt vom Schock, nachdem er Sekunden zuvor ins eiskalte Wasser gestürzt war, ließ ein Instinkt, der in unzähligen Stunden trainiert worden war, Michael zur Tat schreiten. Himmel, er liebte das: die Gefahr, das Adrenalin, die Unmittelbarkeit, mit der ein ganzes Leben auf eine einzige Sekunde reduziert wurde.
Trotz seines beleuchteten Sichtgeräts, das Kompass, Tiefenanzeiger und Uhr in sich vereinte, war die Sicht im tintenschwarzen Wasser auf knapp zwei Meter begrenzt. Neben ihm sein Schwimmkumpel Hugo Caletti, der diesen gefährlichen Moment mit ihm teilte, als sie auf ihr nächtliches Ziel zusteuerten…
Ein gewaltiges Krachen riss Michael zurück in die Gegenwart. Mit trockenem Mund und wie wahnsinnig pochendem Herz schüttelte Michael den Kopf und versuchte so, die Erinnerung loszuwerden. Das Hier und Jetzt barg genug Schwierigkeiten.
»Dreimal verfluchter Mist!« Er hatte den Hauptmast verloren.
Einen Augenblick lang hing der achtzehn Meter hohe Mast auf halber Höhe, als würde er von einer unsichtbaren Hand festgehalten. Mit einem Ruck, der die Nemesis herumwirbeln ließ, ächzte er dann im wild tosenden Wind mit herunterhängenden Seilen, die wie Tentakeln aussahen. »Zum Teufel!«
»Wenn du-hu dir wünnnnschst…«
Hinter ihm trällerte Tally immer noch unermüdlich, aber mittlerweile auch heiser, weiter. Toll. Ganz toll. Warum hatte der Mast sie nicht als Erstes betäuben können, als er niederging?
Es musste noch eine unendlich lange Stunde vergehen, ehe sie der geballten Wucht des Taifuns entwischten. Bis dahin, gedankt sei dem Herrn, war von der Stimme seines Passagiers kaum mehr etwas übrig. Die Wogen glätteten sich zu sanft wiegenden Wellen, der Wind ließ nach, und der Regen hörte allmählich auf.
Hier und da blitzte zwischen den dünner werdenden Wolken Sonnenlicht hervor. Er holte das erste Mal wieder ruhig Luft, und es erschien ihm wie ein Jahr, als er das das letzte Mal getan hatte.
»Ist es vorbei? «, krächzte sie heiser.
Michael schälte seine gefühllosen Finger vom Steuerrad. »Sieht so aus. « Er stellte den Autopilot ein, drehte sich um und schaute sie an. Völlig durchnässt zitterte sie zum Gotterbarmen, während ihr Gesicht kalkweiß war und ihre Lippen einen blauen Schimmer aufwiesen. »Geh nach unten und such dir irgendwas Trockenes zum Anziehen. Wir werden hier bleiben, bis alles vorüber ist. Da kann man es sich ebenso gut bequem machen. «
Sie rührte sich nicht. Es schien, als seien ihre Hände, an denen die weißen Knöchel hervortraten, für immer mit der Rückenlehne des Stuhles verwachsen. Sie strich mit ihrer Zunge über die Stellen auf ihrer Unterlippe, wo ihre Zähne Spuren hinterlassen hatten. »Was ist mit dir? «
»Ich werde das Gleiche tun. He, Lucky? Komm her, alter Junge. « Der Kater krabbelte unter dem Steuerrad hervor und humpelte auf drei Beinen auf ihn zu, damit er ihn hochnahm. Die beiden - Mann und Kater - wandten sich in Richtung Tür. Michael öffnete sie. »Nach dir!«
Tally stakste an ihm vorbei und achtete sorgfältig darauf, dass es zu keinem Körperkontakt kam. Sie war sich seiner überaus deutlich bewusst. All ihre Sinne standen irgendwie Kopf. Verflixt noch mal! Es war stockdunkel da unten. »Ist hier irgendwo das Li …« Er streckte seinen Arm über sie und knipste den Schalter an. »Oh. Danke! «
Der Salon war klein. Zu klein für zwei. Der Sturm hatte alles, was er besaß, durch den ganzen Raum geschleudert. Kleidungsstücke, Schuhe, Papiere und aufgeschlagene Bücher bedeckten jede ebene Fläche. Eine Socke hing über einer Wandlampe. Eine Sonnenbrille lag in einer Ecke, als hätte jemand darauf getreten und sie dann beiseite geschoben.
Er fing ihren musternden Blick mit seinem gesunden Auge auf. »Die Putzfrau ist mir schon vor Jahren weggelaufen. Hier.« Michael bückte sich und hob einen Stapel Papiere vom Boden auf. Dann öffnete er eine Schublade, schob sie hinein und schloss sie wieder. Tally hatte keine Ahnung, warum er sich darum als Erstes kümmerte, wo doch der ganze Raum wie ein Schlachtfeld aussah.
Aus einer anderen Schublade förderte er ein Paar zerknitterte, doch hoffentlich saubere, Hawaiishorts und ein ungezügeltes, weißes T-Shirt zu Tage. »Da lang. « Er fasste sie an den Schultern, drehte sie um und wies ihr den Weg zur Rückseite des Bootes.
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