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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Stahlblech, großzügige Bestückung mit Aschenbechern, alle überquellend, rissige und mit Klebeband geflickte Sitze mit abwaschbaren Bezügen, durchgescheuerte Gummimatten auf dem Boden, abgewetzte Pedalgummis, das mittlere seltsam knubblig unter dem prüfenden Druck meines Fußes. Wenn man etwas sucht, ohne recht zu wissen, was, muss man auch auf kleinste Irritationen sofort reagieren, bevor sie wieder aus dem Bewusstsein wandern. Ich bückte mich runter, zerrte das Gummi vom Pedal und fand … einen kleinen Schlüssel. Irgendwo in der Größe zwischen Tür- und Briefkastenschlüssel. Fein gezahnt, abgegriffen, in der Mitte mit »ABUS« und drumherum mit »Die guten Schlösser« beschriftet. Ein deutscher Schlüssel, der zu einem deutschen Schloss passen sollte, und das schon länger.
    Ich steckte ihn ein. Sah mich weiter um. Das Auto war gut und gerne dreißig Jahre alt und machte einen eingelebten, um nicht zu sagen, ver lebten Eindruck. Trotzdem war es einigermaßen aufgeräumt, anders als zum Beispiel mein Gefährt. Keine Pizzakartons im Fußraum, kein Leergut hinter, keine kaputten Autoersatzteile unter den Sitzen. Alles, was ich fand, war eine Rolle Paketklebeband. Das gleiche, mit dem die rissigen Sitzbezüge geflickt waren. Nun, ermahnte ich meinen toten Freund, das war nachlässig. Ich tastete über den Beifahrersitz, bis meine Finger ein flaches Rechteck unter dem Bezug ausmachten. Ein bisschen Geknibbel und ein energisches Rupfen später schob ich meine Hand in den bloßgelegten Riss und zog kurz darauf einen … Reisepass ans Licht. Ich schlug ihn auf, und der Tote bekam Namen und Identität.
     
    Das Weltspracheninstitut Sondermann versorgte den Interessierten mit einer hübschen Broschüre, in der die Serviceleistungen ebenso sauber aufgelistet waren wie die als Lehrer, Übersetzer und Dolmetscher Beschäftigten. Sogar mit Foto, die Beschäftigten. Wenn auch nicht mit Privatadresse oder -nummer.
    Vielleicht lag’s an der Hitze, aber irgendwie wollte mir keine vernünftige Begründung einfallen, warum ich das direkte Gespräch mit Leonid Gisbinjew suchte, die nicht so wirkte, als ob ich vorhätte, das Institut um seine Provision zu bringen. Deshalb bedankte ich mich nur brav für die Broschüre, trollte mich, besorgte mir einen Kaffee und hockte mich auf ein Mäuerchen, vom dem aus ich den Eingang zum Gebäude im Auge behalten konnte. Der im Haus abgehaltene Sprachunterricht endete gegen 17 Uhr, was mir noch rund eine halbe Stunde zum Rumhocken gab.
    Die Luft in den Straßen waberte, wurde tatsächlich sichtbar, siedend heiß und schadstoffgesättigt, wie sie war. Jahr für Jahr schwöre ich mir, den Sommer irgendwo anders zu verbringen, in den Bergen, am Meer, auf dem Mond, bis zum Hals in einem kühlen, klaren Teich, und ende dann doch immer wieder in diesem Brutkasten namens Ruhr City, triefend, hechelnd und tief in irgendeine Scheiße verstrickt. Die Sommer hier in der Gegend, die machen mich noch mal fertig.
    Ich hatte den Smart vom Müll befreit und dann da geparkt, wo man ihn am wenigsten vermuten würde: zwischen lauter anderen hässlichen kleinen Straßenwarzen mitten auf dem Gelände des größten Daimler-Chrysler-Händlers der Stadt.
    Ich hatte Menden angerufen und den Fund des Ladas gemeldet und wieder aufgelegt, bevor der Hauptkommissar auch nur ein Wort einschieben konnte. Ich hatte getan, was ich tun konnte, heute. Jetzt musste ich noch ein Gespräch führen, dann wollte ich nur noch nach Hause, mich nackt auf dem Bett ausstrecken, meine Wasserpistole in die Luft feuern und im sanften Schauer der herabregnenden Tropfen abhängen, bis mich der Schlaf holen kam.
    Kurz vor fünf nahm ich den letzten Schluck von meinem Kaffee, der mittlerweile schmeckte, als ob er aus der Luft dieser Stadt destilliert worden wäre, und hätte darüber um ein Haar den grauhaarigen, hageren Mann mit der Hakennase verpasst, auf den ich hier wartete. Ich sprang auf die Füße, querte die Straße und musste mich sputen, mit seinem eiligen, zielgerichteten Schritt mitzuhalten.
    Er trug ein kurzärmeliges, weißes Hemd mit dunkelblauer Krawatte, eine helle, leichte Sommerhose und eine Fußbekleidung, die entweder auf einen starken Charakter hinwies oder aber auf eine fast schon anrührende Ahnungslosigkeit in Modefragen: braune Ledersandalen, bezaubernd kombiniert mit weißen Frotteesocken. Raubten einem garantiert jede Chance, flachgelegt zu werden, waren dann aber, wie ich mir eingestehen musste, wenn es wider

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