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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Strecken, müden Einspritzpumpen und billigem, gepanschtem Sprit.
    Eine auf den ersten Blick reine Männergesellschaft, die von der Atmosphäre her an ein Armeelager erinnerte, oder das einer Expedition. Söldner fern der Heimat.
     
    Kolya legte mir seine große Hand auf die Schulter, drückte mich runter auf die Holzbank vor dem langen Tisch. Seltsam altmodische, reichlich abgegriffene Fantaflaschen reihten sich zusammen mit Discounter-Bier und Gläsern voll mit eingelegtem Gemüse die Tischmitte entlang. Ein großer Grill nebelte alles ein.
    »Kristof«, sagte Kolya gewichtig, »du sagst, du suchst Arbeit. Warum hier?«
    »Nun«, begann ich zögernd, »ich hab da einen Tipp bekommen. Freund von mir, kennt ihr wahrscheinlich: Dimitrij, schmächtiger, blonder Typ, ungefähr so groß …«
    »Nein, nein«, unterbrach mich Kolya, stellte ein Zahnputzglas und einen Pappteller vor mich hin. Ich sah vom Pappteller zum qualmenden Grill, auf dem irgendeine Art von Rippchen vor sich hin schmorte. Rippchen, die mich von der Anordnung der Knochen her wie auch von dem Umstand, dass die Enden, gelblich und verschmurgelt, an einem Ende aus dem dunkel verkokelten Fleisch herausragten, stark an die Füße des glücklosen Änderungsschneiders erinnerten und mir damit erheblich auf den eh schon schwachen Appetit schlugen.
    »Ich meine: Warum hier? Warum nicht auf dem Arbeitsamt? Geben sie dir keine Arbeit, kriegst du Hartz vier …«
    Kolya gabelte ein paar Gurken und Maiskolben aus einem Einmachglas und arrangierte sie auf meinem Teller.
    »Die musst du probieren, Kristof. Habe ich selbst eingelegt!« Er wirkte stolz und schlicht und väterlich, ganz Kinn und Stirn und Schultern, doch seine kleinen Augen waren hellwach und schenkten mir eine Menge Aufmerksamkeit.
    »Und?«, wollte er wissen, kaum dass ich einen zögernden Bissen von dem sauren Zeugs genommen hatte, und ich nickte voller Anerkennung.
    »Ich kriege kein Hartz vier, Kolya. So ist das nun mal. Also brauche ich Arbeit.« Ich hatte mir diesen Weg der Annäherung ausgedacht, weil ich diese Leute unauffällig ausfragen wollte, und der Erste, an den ich geriet, drehte den Spieß um und brachte mich in Erklärungsnotstand. Ich schob es auf diese Scheiß-Kopfschmerzen, doch war das kein wirklicher Trost, und weiterbringen tat es mich auch nicht.
    »Hier, probier mal die Paprika, Kristof. So was kriegst du nicht im Supermarkt!«
    Also probierte ich die Paprika, obwohl der ganze Essig auf meine Magenwände einwirkte wie Ofenreiniger, und mimte Begeisterung wie ein Werbespot-Darsteller.
    »Trotzdem, Kristof, warum ich frage, ist das: Sieh mal, sieh dich mal um. Sag mir: Siehst du hier auch nur einen Deutschen?«
    Pflichtschuldigst nahm ich die versammelte Männlichkeit in Augenschein. Ausnahmslos Ost- und Balkanschädel, wenn ich meinen Vorurteilen und/oder meiner Kenntnis der menschlichen Physiognomie vertrauen konnte. Kein einziger französischer Skilehrer darunter, so viel war mal sicher, darauf hätte ich mein, äh, Fahrrad verwettet.
    »Nicht auf Anhieb, Kolya.«
    »Und willst du wissen, warum? Die Arbeit ist hart, Kristof, die Stunden sind lang, und die Bezahlung ist … na ja. Immer noch besser als zu Hause, sonst wären wir nicht hier. Aber nicht so, dass sie sich ein Deutscher antun würde. Also warum du?«
    »Hmmja.« Ich senkte den Kopf, verlegen. »Sagen wir’s so: Ich hab ein paar Schwierigkeiten mit den Behörden, und mein Freund Dimitrij sagte …«
    Ich ließ das Satzende offen, in der Hoffnung, er möge den Haken schlucken und wir auf mein eigentliches Thema zu sprechen kommen, doch Kolya biss nicht, wie der Angler sagt. Er besah mich prüfend mit seinen schlauen Schweinsäuglein. Kollegen von ihm gesellten sich zu uns, begutachteten und wendeten das Grillgut, rauchten, unterhielten sich auf Russisch.
    »Kannst du schweißen, Kristof?«, fragte Kolya unvermittelt.
    »Ja klar«, behauptete ich. »Schweißen, brennen, löten, Schutzgas, Elektro, Plasma, was du willst.«
    »Kannst du Eisen flechten?«
    »Ha! Sieben Jahre gemacht. Kennst du die Nordbrücke in Mülheim?« Er schüttelte den Kopf. »Heißt jetzt Konrad-Adenauer-Brücke.« Noch mal Kopfschütteln.
    »Fünfeinhalbtausend Tonnen haben wir da verbaut.« Für eines der idiotischsten Bauvorhaben in der Geschichte der Stadt. Abgesehen vom Straßenbahntunnel unter der Ruhr natürlich. Den toppt so schnell nichts. Obwohl, neue Projekte sind in Planung.
    »Also?«, fragte ich, voll der Hoffnung. »Wisst ihr

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