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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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raschen Erfolg, dass sie sogar den Baseballschläger mitzunehmen vergaßen, und ich blieb noch ein bisschen im Sessel sitzen, Kotze auf der Brust und alles. Die Doppelsicht ließ etwas nach, doch das Schwindelgefühl blieb, und ein dumpf wie ein Nebelhorn dröhnender Kopfschmerz machte sich zwischen meinen Ohren breit.
    Das kommt dich teuer zu stehen, Vonscheidt, dachte ich. Sehr teuer.
    Schließlich quälte ich mich hoch, duschte, suchte und fand ein paar halbwegs frische Klamotten und stellte dann fest, dass es höchste Zeit wurde, zu verduften. Die drei Genies dürften inzwischen auf dem Rückweg sein, von der Weseler Straße. Mit nach wie vor dröhnendem Schädel ging ich neben der Heizung auf die Knie runter, hob das eine lose Parkettriemchen an und kramte die beiden Schlüsselpaare aus dem Hohlraum darunter. Das eine gehörte zum Smart, das andere, mit »H1« beschriftet, zu dem riesigen Hummer-Geländewagen auf Vonscheidts Rittergut. Zu dem, der schon verkauft war, ja, ja.
    Teuer wird das für dich, Vonscheidt, dachte ich, klemmte die Tür provisorisch mit einem Stück Bierdeckel zu und verließ das Haus durch den Keller. Sehr teuer.
     
    Ich hatte mir einen Kaffee besorgt und dann doch keinen Bock drauf gehabt, sodass der Becher in meiner Hand immer noch voll, wenn auch längst kalt war, als ich endlich die unkrautüberwucherte Industriebrache in Walsum erreichte. Mir war übel, und irgendwas stimmte mit meiner Konzentrationsfähigkeit nicht. Triviale, überflüssige Gedanken kamen und blieben hängen, fuhren Kreis auf Kreis in meinem Schädelrund wie Steilwandfahrer in ihrer Brettertonne. Teuer wird das für dich, Vonscheidt, dachte ich grimmig, und das dachte ich dann noch hundertfünfzigmal. Es war irritierend. Nervend.
    Die Wohn- und Bauwagensiedlung duckte sich ans hintere Ende des riesigen Grundstücks, da, wo es zum Rhein hin abfiel. Nicht schlecht ausgesucht, der Platz. Wer immer sich von der Straße näherte, musste erst mal die große Fläche queren und ließ den Bewohnern somit Zeit, zu entscheiden, ob und wie man den Besucher empfangen oder ob man sich lieber am Fluss entlang aus dem Staub machen sollte.
    Ich rollte vorbei, ohne groß hinzusehen, parkte außer Sichtweite, zwängte den Kaffeebecher hinters Lenkrad, killte den Motor und stieg aus. Immer noch ein bisschen schwindelig, verdammt. Teuer, Vonscheidt, teuer.
    Wie sich annähern? Nicht mit diesem Auto, so viel war klar. Zu Fuß? Auch heikel, wirkte nicht natürlich in einer so weitläufigen Gegend wie dieser, beherrscht von Industrieanlagen, deren Zäune sich schier endlos beiderseits der Straße hinzogen. Ich ging trotzdem ein paar Schritte, und sei es nur, um meinen Gleichgewichtssinn zu stabilisieren, und stoppte an der Zufahrt zu Western Assembly, einer fensterlosen, mit Trapezblech verkleideten Fabrik. Wendekreis, Pförtnerloge, Bushaltestelle. Und dazu ein überdachter Fahrradständer, leer bis auf ein altes Damenrad, das niemand für nötig befunden hatte abzuschließen. Ich zog es raus, prüfte die Reifen – Luft war drin, wenn auch nicht unbedingt viel –, schwang mich auf den Sattel und war unterwegs. Leicht schwankend, angeschlagen, abgerissen, auf einem Vehikel vom untersten Ende der Skala Fahrzeug, nahezu perfekt ausgestattet für die Rolle, die ich zu spielen gedachte.
     
    Kolya nahm sich meiner an, als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre. Er fungierte anscheinend als so was wie der Sprecher der ganzen Bande, bei der es sich, wie es aussah, tatsächlich um Russen handelte. Kolya zumindest war Russe, in der Wolle gefärbt, keine Frage.
    Da triffst du jahrelang nicht einen, dachte ich, und plötzlich sind sie überall.
    Meine schlingernde Anfahrt mit dem Drahtesel hatte mir tatsächlich einen reibungslosen Auftritt beschert. Von Kolya mal abgesehen nahm kaum jemand mehr als nur flüchtig Notiz von mir. Es war Abendbrotzeit, und jeder schien mit etwas beschäftigt, auf eine ruhige, relaxte Art und Weise. Zwiebeln wurden geschält, Grills gefächelt, Einkäufe aus Tüten gekramt. Irgendjemand holte Wasser vom nahen Fluss für die improvisierte Freiluftdusche, unter der ein nackter Kerl stand und seine knochenharte Muskulatur einschäumte. Sie wohnten in alten Bauwagen, schimmelnden Wohnanhängern, ein paar sogar in Zelten. Dazwischen parkten ausgelutscht wirkende Autos und Transporter, lauter Arbeitspferde ohne Prätention: Nissans, Kias, Fords, allesamt Diesel, die Heckpartien rußgeschwärzt von langen

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