Bis zum Hals
Schädeltrauma. Das Dröhnen wollte und wollte nicht weichen, genauso wenig wie diese lastende, lähmende Übelkeit. Der Wunsch nach Aspirin und trockenen Hosen brachte mich schließlich zum Handeln. Ich drückte die Türe ein weiteres Mal auf und sah nach unten. Die Heckschürze des Wagens war beim Aufrichten zersplittert, so dass die Hinterräder weiterhin Kontakt zum Asphalt hatten. Gut. Der Zündschlüssel steckte. Ich drehte ihn, und das Motörchen sprang tatsächlich an. Wählhebel auf Vorwärts, Gas. Mit dem ausgesprochen hässlichen, schüttelnden Kratzen der über den Straßenbelag scheuernden Heckpartie setzte sich das Auto in Bewegung, bis ich meinte, wir wären schnell genug, und die Handbremse riss und damit den Vorderwagen auf die Räder klatschte, dass es mir den Airbag in die Fresse knallte und die Luft sich mit Talkum und einer plötzlichen Abwesenheit natürlicher Geräusche füllte. Eingepudert wie ein Babyarsch hockte ich einen Moment da in der wachsenden Überzeugung, von nun an niemals wieder einen anderen Ton wahrnehmen zu können als den dröhnenden Gong in meinem Schädel und das neu hinzugekommene, hochfrequente Pfeifen in meinen Ohren.
Mit dem Luftsack schlaff zwischen meinen Knien trat ich die Fahrt nach Hause an. Kaum unterwegs, sah ich mein altes Damenfahrrad im Stacheldraht einer Fabrikeinzäunung hängen, und als mir dann noch der vom Innenspiegel baumelnde, sauber aus Kupferdraht geflochtene Galgenstrick ins Auge fiel, begann mir zu dämmern, dass aus dem erhofften Job als Schweißer wohl auch nichts werden würde.
Teil 2
Alles wäre anders, wenn ich nur hin und wieder mal blind meinen Instinkten gehorchen könnte. Doch nein.
Du hievst dich die letzte Stufe hoch, mehr tot als lebendig, blickst den düsteren Flur hinunter, und da hockt eine schlafende Frau vor deiner Tür. Und sie hat einen Koffer dabei.
Eine eiskalte Hand um die Klötze vermag keinen solchen Schauder das Rückgrat entlangzujagen.
Ich erstarrte, erwartete so halb im Hintergrund noch einen linkisch grinsenden Halbwüchsigen herumlungern zu sehen, der Lederjacke zu Jeans und Basketballschuhen trägt, mit zwölf schon raucht und es bei der Polizei zu einem eigenen Aktenregal gebracht hat.
Ich habe ihn Kristof taufen lassen. Bedeutungsschwangere Pause. Nach seinem Vater. Kuhäugiger Blick und abwartendes Schweigen, während du in sprachloser Bestürzung an der fetten Bratze vor dir irgendeine Erinnerung festzumachen versuchst, wann und wo und vor allem warum du sie je bestiegen haben könntest.
Leise umdrehen, schnell die Treppen runter und zwei, drei Tage nicht wiederkommen, war das, was mein Instinkt mir dringend nahelegte. Genau das hätte ich tun sollen, und alles wäre anders gekommen. Doch die Umstände waren gegen mich. Oder was auch immer. Und damit nahm diese Geschichte eben ihren Lauf.
Tatsache war, ich musste in meine Wohnung. Ich hatte es irgendwie von der Tiefgarage bis in die siebte Etage geschafft, ohne jemandem zu begegnen, doch mein Glück würde nicht ewig halten, und mit einer Hose in einem Zustand wie meiner möchte man von niemandem gesehen werden, nicht mal tot. Ich hätte zu Scuzzi ausweichen können, doch mein Freund Pierfrancesco verbrachte den Sommer auf Gomera, wohin auch ich längst unterwegs gewesen wäre, wenn Vonscheidt mich nicht um mein Geld beschissen hätte, und obwohl ich die Schlüssel zu Scuzzis Wohnung besaß und obwohl wir dieselbe Hosengröße haben und es keine dreißig Minuten Fahrt bis zu ihm sind, so hingen seine Wohnungsschlüssel an einem Nagel in meinem Appartement, und das ließ die Zwangslage unverändert.
Okay. Auf leisen Sohlen schlich ich den Flur hinunter. Sie schlief weiter. Und sie war gar nicht fett. Je näher ich kam, desto deutlicher wurde, um was für eine ausgesprochen schmale Person es sich handelte. Rabenschwarzes Haar, was davon zu sehen war.
Sie hatte ihren reichlich altmodischen Koffer so zwischen sich und Tür geklemmt, dass man ihn nicht wegnehmen konnte, ohne sie damit zu wecken. Schlau.
Genauso wenig konnte man allerdings heimlich die Tür öffnen, was mir die letzte Gelegenheit an die Hand gab, doch noch abzuhauen und mein kleines, mieses Dasein wie bisher weiterzuleben.
Aber es besteht eine natürliche Affinität zwischen mir und Trouble, die unwiderstehlich ist und jede Gegenwehr obsolet macht.
Der verdammte Koffer schloss leider auch meine heimlich geschürte letzte Hoffnung aus, nämlich dass nur mal wieder eine der gar nicht wenigen
Weitere Kostenlose Bücher