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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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und drehte einer ebenso angesengten wie zerfetzten Leiche den linken Fuß von hinten zurück in die ursprüngliche Position. Ein verhaltenes, halbersticktes Knirschen ertönte dabei.
    Mein Magen bewegte sich, rieb an den Nähten wie sich verschiebende Kontinentalplatten und weckte damit den Wunsch in mir, besser nicht hergekommen zu sein. »Tut mir leid, dass ich es nicht mehr geschafft habe, Ihnen den roten Teppich auszurollen.«
    »Noch ein paar Spitzfindigkeiten mehr, Doktor, und ich sorge dafür, dass das die letzte Leiche ist, an der Sie hier herumschnippeln dürfen.«
    Station 5, muss man wissen, ist den privatesten der Privatpatienten vorbehalten. Im Zimmer links von mir lag der Direktor einer staatlichen Lotteriegesellschaft, im Zimmer rechts ein Saudi, auf dessen Genesung am Düsseldorfer Flughafen ein vierstrahliger Jet wartete.
    Ich trat an den Tisch und Doktor Korthner richtete sich auf.
    »Gartenteich«, erklärte er und verwies auf den liegenden Körper ohne Hände, Unterarme, ohne Gesicht, ohne Geschlechtsmerkmale. Bauch- und Brustkorbbereich nichts als eine einzige, offene Wunde, einer aufgeplatzten, fauligen Tomate nicht unähnlich.
    Ich habe in meinem Leben schon die eine oder andere Leiche gesehen, nicht wenige davon selbst entdeckt, und nicht alle waren wirklich frisch gewesen, schon gar nicht die dicke Frau in der Badewanne. Um es kurz zu machen: Wasserleichen sehen anders aus, also fragte ich zur Sicherheit noch mal nach.
    » Gartenteich? «
    »Vater, Mutter, Sohn und Schwiegertochter.« Dr. Korthner deutete von Tisch zu Tisch und Bahre zu Bahre. »Dazu eine aus dem Internet gezogene Anleitung zur Herstellung einer nicht wirklich stabilen Mischung aus Düngemittel und Treibstoff und die lustige Idee, wie man sich beim Ausheben einer größeren Grube im Garten eine Menge Arbeit sparen kann. Hat mich jetzt schon drei Tage gekostet, herauszusortieren, was von wem und wer wer ist.«
    »Anders ausgedrückt: Zum Fall Dimitrij Jalnikow haben Sie keine neuen Erkenntnisse.«
    Er hob den Blick von der blutigen Verwüstung vor ihm. »Anteilnahme ist nicht unbedingt so Ihr Ding, oder?«
    Ich dachte einen Moment darüber nach, bevor ich antwortete. »Sagen wir’s so: Mein Mitgefühl mit Idioten hält sich in leicht überschaubaren Grenzen.«
    Der Doktor schüttelte den Kopf, wenn auch mit einem schmalen Grinsen.
    »Also«, sagte ich. »Was ist jetzt mit Dimitrij?«
    »Bevor Familie Dynamitska hereingekarrt wurde, habe ich es so gerade noch geschafft, ihn vollständig zusammenzusetzen, zu röntgen und äußerlich zu säubern. Was auffiel, war eine Vielzahl von älteren Vernarbungen. Bis tief ins Gewebe. Torso, Arme, Beine.«
    »Und was heißt das?«
    Eine Frage, die mir einen eher stumpfen Blick einbrachte.
    »Das heißt erst mal, dass der Unfall mit Ihnen wahrscheinlich nicht sein erster gewesen ist.«
    »Wieso wahrscheinlich?«
    »Weil ein Unfall nur eine der möglichen Ursachen für solche Verletzungen darstellt.«
    Im ersten Augenblick wollte ich nach den Alternativen fragen, doch dann sah ich einen weiteren stumpfen Blick vorher und kam von alleine drauf.
    »Und eine andere wäre … Gewalt?«
    »Eine kriegerische oder sonstige Auseinandersetzung mit tödlicher Intention ist nicht auszuschließen. Einen Teil der Narben würde ich als Überbleibsel dessen einschätzen, was der Feldarzt Schrapnellverletzungen nennt. Alles weitere müssen wir sehen, sobald ich mit dem Gartenteich-Projekt fertig bin.« Und er griff sich ein tropfendes Weichteil aus einem Eimer und betrachtete es seufzend.
    Ich nickte, fasste meinen kreuzfüßigen Kumpel um die ranke Taille und tapste los, als mir noch was einfiel.
    »Ach, Doktor. Meinen Sie, Sie könnten mir ein paar Tramal-Tropfen verschreiben?«
    »Ich? Warum fragen Sie nicht eine der Koryphäen auf Ihrer Station? Fünfer-Patienten wird doch normalerweise kaum ein Wunsch verwehrt.«
    »Das Problem ist, ich werde mich gleich entlassen. Unter, wie ich jetzt schon vorausahne, wenig harmonischen Umständen.«
    Er sah von dem blutigen Klumpen in seiner Hand zu mir und wieder zurück. »Sie wollen uns schon verlassen? Mit einer gerade mal drei Tage alten Operationsnaht?«
    Anoushka war auf meine Hilfe angewiesen, und der Gedanke, dass sie sich inzwischen anderswo umgesehen haben oder aber auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein könnte, saß mir wie eine Boa im Genick. Und ich meine nicht die mit den Federn.
    »Herr Kryszinski, kann das sein, dass Sie ein wenig suizidal

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