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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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machen muss. Wie man sein Auto tankt. Bing, bing, bing, bis die Zapfpistole schnackt, rein und zahlen und weiter.
    Den Blick hielt sie dabei die ganze Zeit auf ihren Teller gerichtet und ließ mir somit Zeit, sie zu betrachten und in Gedanken abzudriften in die Vorstellung, so mit ihr zusammenzusitzen, unter anderen Umständen, an einem anderen, weniger heruntergekommenen Ort, in einem anderen Zustand, in dem mir nicht konstant übel wäre und mir auch der Kopfschmerz nicht weiterhin auf dem Hirn säße wie ein Buddha auf seinem Kissen, und zu einer anderen Zeit, in der ich nicht gerade eben erst ihren Mann getötet und sie damit zur Witwe gemacht hätte.
    Fertig mit Essen, legte sie ihr Besteck beiseite, tupfte sich den Mund mit einer Papierserviette und griff zur Cola, die mit der Pizza gekommen war. Sie nahm einen kleinen Schluck und tupfte erneut die Lippen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt jemandem ähnlich hingerissen bei einer ähnlich trivialen Beschäftigung zugesehen hatte.
    Sie legte die Serviette beiseite und sah mich an. Am Strand eines tropischen Meeres zu sitzen und eine warme Welle über den nackten Köper spülen zu spüren, muss ein ähnliches Gefühl hervorrufen, könnte ich mir vorstellen.
    »Hast du ein … Geschwür?«, fragte sie, vorsichtig in der Wortwahl. Ich zog eines meiner eher unintelligenten Gesichter. Geschwür ist für mich gleich Furunkel, und das sitzt dann, warum auch immer, unweigerlich am Arsch. Und mir mochte es gehen, wie es wollte, doch mit meinem Arsch war meines Wissens alles in Ordnung.
    »Das ist Blut, was du da …« Geste.
    »… erbrichst«, vervollständigte ich den Satz. »Du meinst ein Magengeschwür.«
    Sie nickte. »Du musst zu einem Arzt«, mahnte sie.
    »Ja, ja«, sagte ich. »Alles zu seiner Zeit. Erst mal kümmern wir uns jetzt um deinen Fall.« Cool, tapfer, selbstlos, Kryszinski.
    Sie senkte Blick und Wimpern. »Erzähl mir alles«, bat sie.
    Ich atmete tief ein und versuchte, ihr den Unfallbzw. Tathergang zu schildern, ohne allzu grafisch, allzu detailliert zu werden dabei. Dann holte ich weiter aus, fing mit Vonscheidt an und hörte mit Kolya und seinen Freunden auf, packte den Brief und die Fotos und den Lada und den kleinen Schlüssel und alles, was mir sonst noch einfiel und durch den Kopf ging, mit hinein. Ich erwähnte den Rosa Lollipop und dass weder ich noch die Polizei bisher herausfinden konnten, wo Dimitrij in den Tagen vor seinem Tod gewohnt hatte. Und dann, völlig aus dem Blauen heraus, fragte ich sie, was ich sie die ganze Zeit schon hatte fragen wollen, nämlich wie sie ausgerechnet zu mir gefunden hatte.
    »Ich war zuerst bei einem Jochen … Jochen Fuchs?«
    Ajeh, Jochen Fuchs. Lokale Konkurrenz. Unfähig, seine Schuhe zu binden, ohne sich dabei »Über die Brücke und durch den Tunnel« vorzusagen, und doch in geschäftsmäßiger Hinsicht rund zehn- oder hundert- oder von mir aus auch tausendmal erfolgreicher als ich. Mit null kann man ja multiplizieren, wie man will.
    »Er sagte, du bist genau der Richtige dafür, meinen Mann zu finden.« Ich wandte ruckartig den Kopf, sah mit gespieltem Interesse über die Brüstung, um das spontan in mir aufwallende Misstrauen nicht mimisch sichtbar werden zu lassen. Was konnte das bedeuten, dass Jochen jemandem wie Anoushka die Tür wies und sie, als Frau wie als Kundin, zu mir schickte, anstatt sie zeitgleich anzusabbern und auszunehmen zu versuchen? Ich drehte den Kopf wieder zu Anoushka, als mir die einzige plausible Antwort dämmerte: Sie hatte kein Geld. Nicht dass das für mich in diesem Fall eine Rolle spielte. Trotzdem typisch, für Jochen.
    »Wenn du deinen Mann vermisst, warum bist du nicht erst mal zu den Behörden, zur Polizei gegangen?« Mir war, als ob ich auch die Antwort auf diese Frage schon ahnen konnte.
    Sie dachte einen Moment nach. »Es ist so, Kristof«, begann sie dann. »Dimitrij hat unser ganzes Geld mit nach Deutschland genommen. Um es hier in ein Geschäft zu investieren.« Ich wollte nachhaken, doch sie sprach sofort weiter. »Und, Kristof, ich weiß nicht, was für ein Geschäft. Du musst das herausbekommen, oder ich habe kein Geld, nach Hause zu fahren, und auch keins, um … Dimitrij … mitzunehmen.«
    Sie drehte den Kopf, sah ins Nichts, schluckte.
    »Nun …« Dies wäre jetzt der Zeitpunkt für ein paar wilde Versprechungen gewesen, für eine Demonstration der Zuversicht, doch ich war einmal zur Ehrlichkeit entschlossen und obendrein ziemlich ratlos,

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