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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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fragte ich, »›Vitalzeichen‹? Ich bin quicklebendig.«
    Sie seufzte. »Puls flach, schwer tastbar, tachykard, Blutdruck gerade mal 90/60«, betete sie herunter. »Davon abgesehen, dass Sie knappe drei Tage nach dem Eingriff noch als frisch operiert gelten, sollte es mich wundern, wenn Sie sich überhaupt auf den Beinen halten könnten.«
    »Ach, das geht schon«, behauptete ich. Doch sie war nicht zu überreden.
    Ich wartete, bis sie weg war, richtete mich dann mit aller Vorsicht auf und schwang die Beine aus dem Bett. Bis auf ein rückenfreies Engelshemdchen war ich nackt. Hm. Der Tropf hing an einem langen Galgen, und der stand auf einem kreuzförmigen Fuß mit vier Rollen dran. Hm, hm. Ich packte die Stange, senkte die Sohlen auf die Fliesen und stellte mich langsam auf. Abgesehen von dem Gefühl, mir damit die Bauchnaht wieder zu öffnen wie einen Reißverschluss, wurde die Luft ein bisschen dünn, rings um mein Haupt, und das Licht ein wenig trüb, doch nach zwei Minuten stoischen Stehens und gleichmäßigen Atmens lichteten sich die Wolken weit genug, dass ich den nächsten Schritt ins Auge fassen konnte. Ich tappte rüber zum Kleiderschrank und fand neben meinen Anziehsachen ein Paar neuer Gummisandalen und einen ausgesprochen hübschen, weißen Bademantel. Ich nahm ihn vom Haken und blickte dann lange sinnend auf die Kanüle in meinem Arm und den Schlauch, der von ihr zum Tropf hochlief. Schließlich schlüpfte ich mit dem linken Arm in den linken Ärmel, warf mir die rechte Mantelhälfte um die Schulter und schnürte mir den Gürtel um die Taille, so gut es nur ging. Trat in die Badelatschen und war fertig, mich wieder in die Arbeit zu stürzen.
     
    »Sie sind überhaupt kein Polizeibeamter, und der Herr Doktor hat mir strengste Anweisungen gegeben, niemanden mehr ohne Prüfung des Dienstausweises vorzulassen!«
    Ich seufzte, schwer auf meinen rollenden Begleiter gestützt wie ein müder Hirte auf seinen Stab.
    Den Zerberus des L-Hauses, dachte ich so für mich, den passiert man nur in einem einzigen und endgültigen Zustand wirklich problemlos.
    Sie war Ende fünfzig, massig, herrisch, mit einer Frisur wie eine aus Haar gewobene Käseglocke. Wehmütig erinnerte ich mich des geradezu jugendlichen Schwungs, mit dem ich mich letztes Mal an ihr vorbeigemogelt hatte. Davon war nichts mehr übrig. Ich konnte heilfroh sein, es überhaupt bis hierher geschafft zu haben.
    »Ich komme heute als Patient«, erklärte ich und deutete mit der freien Hand auf Tropf, Bademantel, Latschen. Nur für den Fall, dass ihr meine Aufmachung entgangen sein sollte. »Ich brauche einen medizinischen Rat vom Herrn Doktor.«
    Oh, da würde ich mir einen Termin geben lassen müssen wie alle anderen auch.
    »Das glaube ich nicht«, sagte ich leise. Sie sah mich über die Ränder ihrer Halbgläser scharf an, und ich sah von der Höhe abwärts die Länge meiner Nase entlang starr zurück und nickte ganz leicht mit dem Kinn dazu, wie jemand, der sich noch im Griff hat, aber drauf und dran ist, gleich gründlich die Contenance zu verlieren.
    »Von welcher Station kommen Sie?«, fragte sie dann, immer noch herrisch, wenn auch mit ein paar Fasern von Vorsicht durchwoben, und wandte sich ihrem Monitor zu, Hände wartend auf den Tasten.
    »Station fünf « , sagte ich, weiterhin leise, kaum hörbar, doch sie bekam es mit. Ihr Mund formte ein O.
    »Warum sagen Sie das nicht gleich?« Da war nicht unbedingt Wärme in ihrem Tonfall, aber immerhin Respekt. »Würden Sie mir bitte Ihren Namen geben?«
    Ich gab ihn ihr, und sie entschuldigte sich für die Notwendigkeit, ihn noch mal buchstabiert bekommen zu müssen, überprüfte meine Angaben mit einem letzten Funken von Hoffnung, mich noch der Lüge überführen zu können, und wechselte dann ein paar diskrete Worte mit ihrem Telefonhörer, bevor sie auflegte und mir mitteilte, der Herr Doktor erwarte mich.
    »Den Weg kennen Sie ja.« Und sie schenkte mir ein Lächeln von Substanz und Dauer einer platzenden Seifenblase.
    Ich und mein dünner, vierrädriger Kumpel schoben los den Gang hinunter.
     
    Dr. Korthner war beschäftigt, als ich reinkam. Beide Seziertische waren belegt, dazu noch zwei mobile Bahren. Spuren dicker, auberginefarbener Tropfen zogen sich kreuz und quer über den Kachelboden und wurden von einer Hilfskraft in einen rotbraunen Schmier verwischt.
    Irgendwie genug gesehen von dem Zeugs in letzter Zeit, dachte ich so für mich.
    »Station fünf « , meinte der Doktor verträumt

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