Bis zum Hals
hinweg, schlich zur Wohnungstür, warf sie mit der Schulter zu und kickte den Türkeil drunter.
Ich bin kein Killer. Ich bin Flüchter. Und als solcher, wenn ich das mal so sagen darf, gar nicht mal unbegabt.
Anoushka war inzwischen ebenfalls auf meinem Balkon angekommen, mitsamt ihrem Koffer, Pistole auf den weiterhin sitzenden, keuchenden, an seinen Augen herumwischenden Partner gerichtet, während ein Knirschen hinter mir ahnen ließ, dass jemand versuchte, meine Wohnungstür aufzuhebeln.
Anoushka blickte gehetzt, setzte zu einer Frage an, doch ich bedeutete ihr nur, still zu sein, griff hinters Sofa und zog mein selbstgebautes Fassaden-Rettungsmodul hervor.
Ich sag’s doch, ich bin Flüchter. Wir denken voraus. Und wenn man wie ich in einem chronisch sozialschwachen Hochhaus wohnt, dicht an dicht mit solch illustren Nachbarn wie Süchtigen jeglicher Couleur, die bevorzugt mit brennender Kippe in der Hand in ihre Dämmerzustände sacken, mit Gothics, Grufties und Satanisten, denen das Sonnenlicht abträglich und das elektrische nicht stimmungsvoll genug ist und die deshalb rund um die Uhr der flackernden Wachskerze vertrauen, mit Einwanderern aus den, sagen wir mal, einfacheren Gegenden des Südens und Ostens, die ihr Fleisch gerne noch eigenhändig abkehlen, um es dann auf dem aus der Heimat gewohnten, an Wintertagen auch zur Minderung der Heizkosten sehr beliebten, gusseisernen Holzofen zu garen, und nicht zuletzt mit Scharen vereinsamter Rentner, die das Anstecken der Fenstervorhänge als probates Mittel betrachten, die Welt auf sich aufmerksam zu machen, dann sollte man begreifen, dass man auf einem Großbrand in Lauerstellung sitzt und kann anschließend entweder sein Leben in die Hände der Feuerwehr legen oder eben selber Vorsorge tragen.
Als schon am Tag meines Einzuges nur vier Wohnungen weiter eine flammende Fritteuse bekämpft werden musste, war mein erster Gedanke der an die Anschaffung einer sieben Etagen langen Strickleiter gewesen. Mein zweiter, wie die Stricke im Fall der Fälle schon unter dem Gewicht von sechs Etagen panischer Mitmieter ächzten, bevor ich auch nur ein Bein über die Balkonbrüstung geschwungen hätte.
Das Re-Design, wenn man so will, das ich nun handhabte, bestand aus zweieinhalb Metern Aluminiumleiter mit zwei stabilen Haken am oberen Ende. Der Nachteil dieser Konstruktion ist, dass man damit immer nur von Etage zu Etage weiterkommt, ihr Vorteil, dass sie in beiden Richtungen funktioniert. Runter genauso wie hoch.
Mit einem einzigen Handgriff hatte ich sie an der Brüstung des Balkons über mir eingehakt und Anoushka gewunken, die unverzüglich, ohne auch nur das geringste Zögern, die Sprossen erklomm. Ich reichte ihr ihren Koffer hinterher – so leicht, es war unglaublich – und sah mich noch einmal kurz um. Partner war auf allen vieren unterwegs ins Bad, auf der Suche nach einer Spülung für seine Augen. Edna blickte um die Sichtblende herum. Sie trug eine Schüssel im Arm, in der sie unaufhörlich rührte, und dazu eine durchaus kritische Furche zwischen ihren Brauen. Ich versuchte ihr zu signalisieren, dass sie sich zurückziehen sollte, doch ist unser Möhrchen schon mal etwas unwillig, zu verstehen.
»Das bedeutet wohl, dass ich mich die nächste Zeit mal wieder um Ihre Katze kümmern muss«, beobachtete sie mit mildem Vorwurf.
Es mag mit meinem Beruf zusammenhängen, schon mal auch mit meinem Privatleben, jedenfalls ist es ab und an mal ratsam für mich, ein paar Tage und Nächte außer Haus zu verbringen. Die Katze zieht in solchen Fällen mittlerweile schon automatisch nach nebenan.
»Und wenn jemand fragt, soll ich wieder sagen, Sie wären nach Wangerooge.«
Ich nickte, legte noch mal den Finger auf die Lippen und winkte ihr, bis sie sich endlich verzog.
Man erzählt sich, dass bei der Wangerooger Touristeninformation Handzettel mit dem Text »Ein Herr Kristof Kryszinski ist auf der Insel nicht bekannt« ausliegen. In fünf Sprachen und vierzehn Schreibweisen meines Namens. Möhrchen, muss man wissen, ist fantastisch im Wiederholen und vor allen Dingen völlig überzeugend.
Einigermaßen beruhigt hangelte ich mich in die Höhe und schließlich in der achten Etage über die Brüstung. Kaum hatte ich die Leiter hinterhergehievt, als ich meine Wohnungstür bersten hören konnte und dann hastige Schritte und verhaltene, hektische Stimmen.
»Sie suchen nach dir«, raunte mir Anoushka zu, die, hinter die Brüstung geduckt, lauschte. »Aber sie haben keine
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