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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Sie haben bei mir für den Rest Ihrer Tage verschissen«, knurrte er noch, dann klappte ich die Tür zu, und er fuhr los, ließ die Scheinwerfer aber ausgeschaltet, bis er den geparkten Smart ein gutes Stück hinter sich gelassen hatte.
    Ich sah ihm nach, hörte Whitney Houston zwitschern und war mit zwei Schritten beim Auto und hatte das Handy am Ohr. Es war Anoushka, und ich sank in den Sitz.
    »Wo bist du?«, fragte ich und stand augenblicklich wieder – sie wusste es nicht.
    »Ich bin irgendwo im Wald, Kristof.« Sie klang verwirrt, verängstigt. »Ich bin einfach gelaufen, als die Männer kamen, einfach weg, und ich habe einen Schuh verloren, und eine Zeit lang konnte ich noch das Feuer sehen, doch jetzt ist es überall gleich dunkel, und ich weiß überhaupt nicht mehr, wo ich bin.«
    Doch Kristof weiß Rat. Kristof weiß immer Rat, weiß immer, was zu tun ist.
    »Sag mir, was du siehst.«
    »Nun, Bäume.« Tolle Frage, tolle Antwort, Kristof, mein Junge.
    »Bist du auf einem Weg?«
    »Nein, ich bin mitten zwischen vielen Bäumen. Und ich habe einen Schuh verloren.«
    Der Schuh machte ihr spürbar zu schaffen, und ich hätte in diesem Moment wer weiß was dafür gegeben, ihn ihr wiederzubesorgen.
    »Okay, dann sag mir, was du hörst.«
    Perplexes Schweigen.
    »Ich meine, hörst du die Autobahn?«
    »Ja.«
    »Gut. In welche Richtung bist du geflüchtet? Quer über den Platz oder direkt hinter dem Wohnwagen in den Wald?«
    »Direkt in den Wald.«
    »Super. Hörst du das?«
    Ich presste die Hupe, doch nichts kam. Ich fluchte, fummelte den Schlüssel ins Schloss.
    »Nein.«
    »Warte!« Hastig schaltete ich die Zündung ein, presste den Hupknopf erneut, und der Smart entließ ein gequetschtes Quäken, ein unter den gegebenen Umständen völlig unadäquates Geräusch. Dieses Auto und ich, wir waren nicht füreinander gemacht.
    »Ja, ich höre etwas.«
    Ich startete den Motor und rollte an, ließ beide Scheiben gleichzeitig runter.
    »Gut, ich fahre jetzt los und hupe ab und zu, schalte Licht und Warnblinker ein, und du sagst sofort Bescheid, wenn du mich siehst.«
    »Kristof, mein Akku ist fast leer.«
    »Dann mach aus und ruf mich erst wieder an, sobald du mich siehst.«
    »Gut.«
    Sie war nach Süden geflüchtet, also suchte und fand ich den ersten halbwegs befahrbaren Waldweg in dieser Richtung, ließ den Smart über die Wurzeln und Steine kraxeln, Scheinwerfer weit aufgerissen, alle Blinker blinkend, Hupe in regelmäßigen Abständen aufquakend.
    Es dauerte keine fünf Minuten, bis Whitney in meiner Faust aufpiepte, und dann noch vielleicht anderthalb, bis ich hart auf die schmale Gestalt im Scheinwerferlicht zu beschleunigte und mit knurrendem Pedal stoppte.
    Sie hielt ihren Koffer mit beiden Händen vor sich und blickte blinzelnd ins Licht, bis ich Licht und Motor ausmachte und ausstieg.
    Ihr Haar war aufgelöst, ihre Hände, Knie und Füße waren lehmverschmiert, der eine nackt, der andere nach wie vor in seinem flachen Schuh mit Schleife drauf.
    Meine Erleichterung brach sich Bahn in sinnlosem Gebabbel entlang der »Mann, Mann, Mann, was machst du denn für Sachen -Linie, an das keiner der Beteiligten sich je erinnern wird, und das ist ein Segen.
    Was ich eigentlich wollte, war, sie in die Arme nehmen, sie an mich drücken, sie fühlen, riechen, wenn möglich schmecken, doch der Koffer stand zwischen uns. Der Koffer und dann noch die eine oder andere nicht sichtbare Barriere.
    »War das der Wohnwagen, der da gebrannt hat?«, fragte sie mit einer vagen Geste in die Richtung, aus der ich gekommen war.
    »Ja.«
    Die Autobahn rauschte entfernt, wie in allen Wäldern der Ruhr City irgendwo eine Autobahn rauscht, meist zu weit weg, um sie sehen, immer zu nah, um sie vergessen zu können, während Anoushka und ich uns der Konsequenzen meiner Bejahung klar wurden. Ich war es schließlich, der es aussprach.
    »Wir müssen davon ausgehen, dass das ein Anschlag war. Und dass er dir galt. Irgendjemand versucht, dich zu töten, Anoushka. Wir müssen hier weg und dich verstecken.«
    »Aber, Kristof, es wusste doch niemand, wo ich bin!«
    Es klang fast flehend und endete mit einem unausgesprochenen, trotzdem nachhallenden: »Außer dir.«
    Ich ließ die Ereignisse und vor allem die Gespräche der letzten 24 Stunden vor meinem inneren Auge und Ohr abspulen und stoppte den Film, wenn man so will, inmitten der verkohlten Trümmer des Wohnwagens. Der Bulle in Zivil war der Einzige, zu dem ich etwas im Zusammenhang von

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