Bis zum Hals
sagte ich, »diesmal sind wir sie los. Versprochen.«
Ich fühlte ihre Hand in meine und ihren Blick an mir hochgleiten.
»Kristof«, sagte sie leise, »wenn ich Bankräuber wäre, dann müsstest du unseren Flucht …«
Wir zuckten beide zusammen, als die Heckscheibe des Smarts unter einem wuchtigen Schlag zerbarst. Ein wandernder, suchender, leuchtender, roter Punkt erschien auf Anoushkas Brust und wir fielen gleichzeitig in eine Öffnung in der Tunnelflanke, einen Treppenaufgang, wie es aussah. Betonsplitter stachen mir in die Haut und ein Querschläger heulte, ohne dass man einen Schuss gehört hätte, und wir krabbelten auf allen vieren die Treppe hoch, ins Licht und in das alle anderen Geräusche überdröhnende Rauschen gleich zweier gegenläufiger Verkehrsströme: Wir fanden uns auf dem begrünten Mittelstreifen der A3 , wieder, buchstäblich mitten im Verkehr, und da befänden wir uns wahrscheinlich noch heute, nur mit etwas Blei im Schädel, wenn nicht 500 Meter weiter und einige Zeit früher ein paar Autofahrer die Umsicht gehabt hätten, miteinander und der Leitplanke zu kollidieren, sich damit den Tag zu versauen und Anoushka und mir das Leben zu retten.
Der Abschleppwagenfahrer blickte überrascht, angepisst, verstehend, einsichtig. Alles binnen eines Fingerschnippens. Doch er sagte kein Wort. Stattdessen schwang er sich in seinen Sitz, knallte die Tür und startete den Motor. Sah noch mal zu uns rüber, zusammengepfercht auf dem einen Beifahrersitz, sah Anoushka an, barfuß, abgerissen nach einer Nacht auf der Flucht, ihren von Bindfäden zusammengehaltenen Koffer umklammernd wie einen letzten Halt in einer Welt ohne Boden, mich mit meiner schwellenden, blutenden Stirn, registrierte unsere gehetzten, immer und immer wieder nach hinten wandernden Blicke und fuhr einfach los.
»Ich komme aus dem Kosovo«, sagte er, als er uns an einer S-Bahn-Haltestelle rausließ, und wünschte uns Glück.
»Nein, Kristof«, beharrte sie, stur und vollkommen unerreichbar für Argumente, wie die Katze, wenn ihr das verdammte Futter nicht passt.
Wir hatten alles, einfach alles durchgekaut, alle Möglichkeiten, die uns einfallen wollten, besprochen, wieder und wieder, bis wir beide heiser waren, doch wir kamen nicht weiter mit der Frage, wen um Himmels willen sich Dimitrij dermaßen zum Feind gemacht hatte, dass seine Mörder nun auch noch seine Witwe umbringen wollten. Die bekannten Fakten waren einfach zu dünn, um irgendwelche Rückschlüsse zuzulassen.
Das andere war das leidige Thema des gemeinsamen Übernachtens.
»Nein, Kristof. Das geht nicht.«
Ich war müde, ich war alle, fertig, platt, und wenn sie partout nicht mit mir unter einem Dach schlafen wollte, hier, in Scuzzis Wohnung, dann musste ich sie irgendwo anders unterbringen, und wenn es mir noch so widerstrebte. Gegen Katzen und Frauen ist unter bestimmten Umständen kein Ankommen.
»Immer hübsch rein in die gute Stube!« Von allen denkbaren Frauenrollen hatte Tina sich die der Mutter ausgesucht, der Über-Mutter, wenn möglich. »Tässchen Kaffee? Stückchen Kuchen? Gott, ihr seht ja vollkommen verhungert aus!« Gehüllt in einen knapp gehaltenen seidenen Morgenmantel, einen pinkfarbenen Handtuchturban um den Kopf gewickelt, trippelte sie auf – tja, ich hatte so was noch nie gesehen, Badelatschen mit Absatz – vor uns her in ihr Wohnzimmer, in, oha, Eiche, Perser und Brokat. Es ist und bleibt mir unbegreiflich, warum sich gerade die schrillsten Gestalten so oft mit den absolut spießigsten Wohnungseinrichtungen umgeben.
»So, setzt euch, macht’s euch gemütlich, ihr nehmt doch beide Milch und Zucker? Oder lieber Süßstoff?«
Was mir auch nicht in den Schädel wollte, war, warum mit mir unter einem Dach zu nächtigen »nicht gehen« sollte, zusammen mit einem gerade mal obenrum zur Frau gewandelten ehemaligen Maurerpolier aber schon.
»Anoushka«, stellte ich vor, »das ist Tina, die We …«
»Eine Silbe«, schnitt mir Tina die ›… bpelzschabracke‹ schon im Ansatz ab, ihr geflötetes Falsett abgerutscht in einen knurrenden Bass, »nur eine Silbe weiter, und du trägst deinen Kopp unterm Arm nach Hause!«
Andererseits, hatte ich mir gesagt, ist es besser, Anoushka nicht allein zu wissen, wenn ich unterwegs war.
»Ich bin also die Tina«, zwitscherte unsere Gastgeberin ansatzlos fröhlich weiter, »und du musst Anoushka sein! Krüschel hat mir schon so viel über dich erzählt!«
»Das ist doch Blödsinn«, widersprach
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