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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Zustandes enterte ich die nächste Apotheke und schaufelte mir beim Rauskommen je eine Handvoll der kreislaufstabilisierenden und blutbildenen Pillen rein. So gestärkt, nahm ich die verbleibenden zwei Kilometer beherzt zu Fuß in Angriff.
     
    Sie hatten die Rechnung fertig, ganz so, wie ich’s erbeten hatte. Vom Büro Vonscheidt aus. Wie ich behauptet hatte. Nur vier Telefonate bei vier Opel-Händlern und … Bingo.
    Hummer, muss man wissen, ist eine General-Motors-Tochter. Wie Opel. Also, machen wir uns nichts vor: Ich bin zum Detektiv geboren.
    Ich besah mir die Summe, nickte, faltete den Wisch zusammen und steckte ihn ein.
    »Der Wagen steht in der Werkstatt?«
    Äh, Moment, hieß es. Wenn ich bitte erst die Rechnung bezahlen könnte? Das sei so üblich, vor Ausgabe des Fahrzeugs.
    Ich tat überrascht. Herr Vonscheidt hatte mich nur beauftragt, den Wagen abzuholen. Die Rechnung – ich holte sie noch mal hervor, betroffen, jetzt – sollte ich mitbringen und im Büro abgeben. Tja, und nun? Na gut, ausnahmsweise. Unter Händlerkollegen …
     
    Exportkennzeichen, gültig für noch fast eine Woche. Gut. Fahrertüre stand offen. Rollbarer Werkzeugkoffer daneben.
    »He! Sie können den Wagen noch nicht mitnehmen. Ich muss erst noch die Verkleidungen wieder dranschrauben.«
    Die untere Hälfte des Armaturenbretts lag auf dem Beifahrersitz. Jemand hatte offenbar daran gedacht, den Hummer kurzzuschließen, dann aber, angesichts eines unvorstellbaren Wusts von bunten Kabeln, die kleine rote Kneifzange sinken lassen und es sich anders überlegt.
    »Das mach ich schon«, ließ ich den Mechaniker wissen. »Ist das deine?«, fragte ich noch und hielt ihm die Zange hin, doch er schüttelte den Kopf.
    »Was ist jetzt mit dem Zündschloss, das wir bestellt haben?«
    »Könnt ihr wieder abbestellen«, antwortete ich, führte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn, bis die Lämpchen aufglommen, wartete, bis das gelbe mit dem Spiralsymbol ausging, und startete. Der Sechseinhalb-Liter-Diesel-V8 erwachte wie ein dicker Mann nach einer Nacht bei den Nutten. Schwerfällig, übellaunig, furzend. Ich ruckte den Wählhebel auf D und der automobile Leviathan war mein.
    Für das komplette Wochenende. Bis Vonscheidt oder der Käufer Montag hier auftauchte, um ihn abzuholen. Von da ab dürfte es nur noch eine Frage von Stunden sein, bis mir die Kelle geschwenkt werden würde. Verstecken kann man sich mit diesem Monster nicht.
    Doch bis dahin machte ich das Beste draus. Vollgas, wo es nur ging. Kickdown an jeder Ampel. Fette schwarze Bögen um alle Kurven und Kreisverkehre. Immer dicht drauf und immer mittenrein. PKW-Fahrer stoben auseinander wie Urzeitpferdchen, wenn der Tyrannosaurus ums Eck gehopst kam. Enorme Heiterkeit. Anoushka würde ihn lieben, so viel war jetzt schon klar. Halbwüchsige aller Nationen bekundeten mir gestenreich ihren Respekt, doch davon mal abgesehen bekam ich alles in allem mehr Kopfschütteln zu Gesicht als ein über 50-jähriger Stahlkocher bei der Jobsuche.
    Ich beeilte mich, zu Tinas Wohnung zu kommen, konnte es nicht erwarten, Anoushka den Wagen vorzuführen, konnte es nicht erwarten, mit ihr zu reden, alles, wirklich alles noch mal von vorne bis hinten durchzukauen, sie mit der durch und durch dubiosen Verbindung Dimitrijs mit Deckart zu konfrontieren und dann, wer weiß, Pläne zu schmieden. Dafür, wie’s jetzt weitergehen sollte, in Zukunft und so.
    Whitneys und mein Hit piepste mich an. Es war Dr. Korthner.
    Ein paar knappe Sätze seinerseits und ich wendete den Hummer quer über vier Fahrbahnen und zwei städtische Rabatten hinweg.
     
    »Was soll das heißen: Die Leiche wird noch heute abgeholt?«, blaffte ich, kaum durch die Tür.
    »Genau das«, meinte der Doktor lapidar und winkte mir, ihm in das Kühlhaus zu folgen. »Das russische Konsulat hat eine Verfügung erwirkt, und das heißt für uns Abschied nehmen.«
    Er zog eine der Leichenschubladen auf und lüftete das Tuch von Dimitrijs Leiche. Die mir verändert vorkam. Deutlich verändert. Dimitrij war überraschend ein Bartschatten gewachsen. Und was für einer. Viel schattiger geht’s nicht. Will sagen, schwarz. Und nicht nur am Kinn.
    »Die Haut einer Leiche verliert Feuchtigkeit, schrumpft in der Stärke zusammen, die Haarwurzeln bleiben aber stehen. Unser Toter hier war blond gefärbt, Brauen und sogar die Wimpern inklusive, was viel Arbeit gemacht haben muss. Den Rest seines Körperhaares hatte er sich – ich vermute mal beinahe täglich

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