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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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meiner Erfahrung sind die Leute, die ihre Meinung am lautesten herausschreien, im Allgemeinen diejenigen, die sich ihres Standpunkts am unsichersten sind. Bis zu diesem Abend war mir diese dunkle Seite ihrer Persönlichkeit noch nie aufgefallen.
    Wieder war Engel bereits gegangen, als ich aufwachte. Zum Frühstück aß ich Haferbrei mit braunem Zucker und Walnüssen, dann konzentrierte ich mich wieder auf meine Genesung, und in dem Bewusstsein, dass ich die Stufen bereits bezwungen hatte, verließ ich das Haus mit einem neuen Maß an Selbstvertrauen.
    Diesmal lief ich bis zum Gehsteig und dann weiter bis zur Grundstücksgrenze. Ich hätte vermutlich noch weiter gehen können, aber da ich allein war, entschied ich, lieber auf Nummer sicher zu gehen und es nicht zu übertreiben. Trotzdem war ich zufrieden. Wenn das Wetter nicht wäre, dachte ich, könnte ich schon im Januar wieder unterwegs sein.
    Ich schlurfte zurück zum Haus und stieg die Treppe hoch. Diesmal hatte ich nicht das Gefühl, dass ich gleich umkippen würde.
    Ich hatte mich eben fertig angezogen und überlegte, was ich mit dem Rest des Tages anfangen sollte, als es klingelte. Ich ging zur Tür, um zu öffnen.
    Im Türrahmen stand eine Frau. Sie war hübsch angezogen und hatte dunkelrote Haare, die ihr bis auf die Schultern fielen. Sie schien nur wenig älter als ich zu sein und hielt ein Blatt Papier in der Hand.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich.
    Sie schien verblüfft. Sie blickte irritiert auf das Blatt Papier und schaute dann wieder mich an. »Entschuldigen Sie, wohnt hier Nicole Mitchell?«
    »Nicole?« Ich schüttelte den Kopf. »Hier wohnt niemand, der so heißt.«
    Ihr Blick wanderte durch den Korridor zu den anderen Türen. »Es tut mir leid, ich muss mich in der Wohnung geirrt haben. Wissen Sie zufällig, ob sie in diesem Haus wohnt?«
    Ich zuckte die Schultern. »Tut mir leid, ich bin neu hier. Ich kenne die anderen Mieter nicht.«
    Einen Augenblick lang stand sie nur verwirrt da und schien nicht zu wissen, was sie jetzt tun sollte.
    »Sie könnten an die anderen Türen klopfen«, schlug ich vor.
    »Danke. Das werde ich versuchen. Entschuldigen Sie bitte die Störung.«
    »Keine Ursache.« Ich schloss die Tür.
    Engel kam um kurz nach fünf nach Hause. »Wie war’s auf der Arbeit?«, fragte ich. Ich hoffte, besser als gestern.
    »Es war okay«, sagte sie leise. »Wie war dein Tag?«, fragte sie dann leise.
    »Gut«, sagte ich.
    Sie nickte. »Ich habe auf dem Nachhauseweg ein Grillhähnchen mitgenommen. Magst du es gefüllt? Ich habe noch Fertigfüllung da.«
    »Ich liebe Hähnchen mit Füllung«, sagte ich und war froh, dass sie besser gelaunt war als gestern Abend.
    Während sie die Füllung zubereitete, deckte ich den Tisch und schenkte uns Wasser ein. Ein paar Minuten später setzten wir uns zum Essen.
    »Tut mir leid, dass ich gestern Abend so schlecht gelaunt war«, sagte sie. »Das passiert manchmal, wenn mein Blutzucker niedrig ist.«
    »Kein Problem«, sagte ich.
    »Ich möchte nicht, dass du denkst, dass ich dich vertreiben will. Ich bin wirklich froh, dass du hier bist.«
    »So habe ich es auch nicht aufgefasst«, sagte ich. »Und ich bin auch froh, dass ich hier bin.«
    Sie sah erleichtert aus. »Und? Was hast du heute gemacht?«
    »Ich habe mich in mein Tagebuch vertieft«, sagte ich. »Und ich habe mir ›Richterin Judy‹ angesehen. Die Frau ist wirklich knallhart.«
    Engel grinste. »Das ist vermutlich der Grund, weshalb sie so beliebt ist. Bist du ein paar Schritte gegangen?«
    »Ich habe es bis zum Ende des Vorgartens und zurück geschafft.«
    »Glückwunsch. Du machst echte Fortschritte.«
    »Ich habe es weit gebracht seit diesem ersten Gang zur Toilette.« Ich löste mit meiner Gabel etwas Fleisch von der Hühnerbrust. »Was ich dich fragen wollte: Wann fällt in Spokane eigentlich der erste Schnee?«
    »Ich war seit meiner Kindheit keinen Winter über mehr hier, aber ich glaube, dass es spätestens Mitte November den ersten Schnee gibt.«
    »Mein Ziel ist es, es einmal um den Block zu schaffen, bevor der erste Schnee fällt.«
    Engel schnitt sich ein Stückchen von der Hühnerbrust ab und sagte, ohne aufzusehen: »Du schaffst das schon. Du machst das alles sehr gut.«
    Ich nahm noch einen Bissen. »Hast du eine Nachbarin namens Nicole?«
    Engel sah unvermittelt auf. »Warum?«
    »Heute Nachmittag war eine Frau hier und suchte nach jemandem namens Nicole.«
    »Was für eine Frau denn?«
    »Irgendeine Frau

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