Bis zum letzten Atemzug
»Der Chief sieht es nicht gerne, wenn man während des Dienstes private Anrufe entgegennimmt.«
»Lies die SMS vor«, bittet der Chief. Die drei Männer drängen sich um mich und schauen auf mein Handy.
Ich lese die erste Nachricht laut vor. »Barrett. Allein. 18.30 Uhr.«
»Es ist bereits zwanzig nach sechs«, sagt Swain nach einem Blick auf seine Uhr.
»Mir fällt gerade noch jemand ein.« McKinney, Gritz und Swain schauen mich erwartungsvoll an. »Matthew Merritt.«
»Greta Merritts Mann?« Samoras ungläubige, körperlose Stimme erfüllt die Luft, und ich schaue auf das auf laut gestellte Telefon. Ich hatte total vergessen, dass Samora zuhörte.
»Ja.« Diese neue Option lässt mich zittern. »Ich habe den ursprünglichen Bericht geschrieben. Ich war es, die das Opfer überredet hat, ihn anzuzeigen. Ich habe Merritt seine Rechte vorgelesen, während Gritz ihm die Handschellen angelegt hat.« Den Zeitschriftenartikel und Stuarts Interview mit dem Opfer ließ ich unerwähnt. Niemand wusste, dass Stuart durch mich auf Jamie gestoßen war. Falls irgendjemand noch Zweifel daran gehabt hatte, dass Merritt ein Monster war, waren die nach der Lektüre von Stuarts Artikel ausgelöscht worden. »Vielleicht versucht Merritt, sich auf diese Weise an mir zu rächen. Der Mann ist definitiv verzweifelt. Er hat seine Frau verloren, seine Familie, seine Freiheit und die Chance, in der Gouverneursvilla zu wohnen.« Die Männer tauschen zweifelnde Blicke, schließen die Möglichkeit aber nicht gleich aus.
Bevor ich den Artikel damals zu Ende gelesen hatte, hatte ich schon Stuart am Telefon. »Wie hast du das gemacht?«, habe ich ihn gefragt. Er wusste genau, wovon ich sprach, und versuchte nicht mal, sich dumm zu stellen.
»Ich habe gehört, wie du am Telefon mit ihr gesprochen hast.«
In Gedanken versuchte ich, mich an das Datum und den Ort des Telefonats zu erinnern. Als es mir endlich wieder einfiel, brachte ich nur ein leises »Oh« heraus. Stuart hatte seit unserem Kennenlernen nur eine Nacht bei mir zu Hause verbracht. Maria war an dem Abend zu einer Pyjamaparty bei Freunden gewesen und würde erst am nächsten Morgen nach Hause kommen. Es war schon spät, als Jamie mich anrief. Stuart und ich hatten geschlafen, eng aneinandergekuschelt, als würden wir das schon seit Jahren so tun. Er hatte seine Arme fest um mich geschlungen, sein Kinn auf meiner Schulter, die Hände auf meinem Bauch. Wir passten perfekt zusammen. So dachte ich zumindest. Als mein Handy klingelte, hatte ich mich vorsichtig aus der Umarmung gelöst und war aus dem Bett geschlichen, um Stuart nicht zu wecken. Seitdem ich Jamie zum Zentrum für Vergewaltigungsopfer gebracht und durch die einzelnen Schritte begleitet hatte, die nötig waren, um Anzeige gegen Matthew Merritt zu erheben, seitdem ich ihr versprochen hatte, dass alles gut würde, vertraute sie mir. Während dieses Telefonats erklärte sie mir unter Tränen, dass sie immer noch unter Albträumen litt, weil sie wusste, dass Mr Merritt sich an ihr rächen würde. Er hatte ihr gesagt, er würde ihr und ihrer Familie wehtun, wenn sie jemals jemand davon erzählte, was er ihr angetan hatte.
»Matthew Merritt wird dir nicht noch einmal wehtun«, versicherte ich ihr. »Das werde ich nicht zulassen. Du schaffst das, Jamie. Ich weiß, es ist nicht leicht, aber du hast so viele Menschen, die dir helfen, das durchzustehen. Willst du, dass ich zu dir komme?«, fragte ich, nachdem ich mehrere Minuten ihrem leisen Weinen gelauscht hatte.
»Würdest du das tun?«, fragte sie hoffnungsvoll. »Bitte?«
Ich hinterließ Stuart eine Nachricht, dass ich kurz dienstlich außer Haus müsste und bald wieder da wäre.
Das war die Nacht, in der Stuart erfuhr, dass Jamie Crosby von Matthew Merritt vergewaltigt worden war. Er hatte seine Geschichte. Die größte seiner Karriere.
»Wir werden der Merritt-Spur nachgehen«, verspricht Swain. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er zu solch extremen Mitteln greift.«
Das Klingeln meines Handys erschreckt uns alle. Es folgen zwei weitere kurze Signale. »Drei weitere Nachrichten«, sage ich. Eine Welle der Angst rauscht durch meine Adern. BANG, steht in der zweiten SMS. Mit zitternden Händen drücke ich den Knopf, der die dritte Nachricht öffnet. BANG. BANG.
AUGIE
Als ich durch die Scheibe schaue, sehe ich genau in die Augen eines Mannes, der auf der anderen Seite steht. Seine blauen Augen jagen mir einen Schauer über den Rücken. Mein Herz setzt einen
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