Bis zum letzten Atemzug
Mit seiner ruhigen, sanften Art war er Will im Umgang mit den Rindern eine große Hilfe. Zudem war er ein verlässlicher und harter Arbeiter, der Will nicht nur bei der täglichen Arbeit half, sondern auch ein Stück Land von Will gepachtet hatte, auf dem er Gemüse und Getreide anbaute, um eines Tages, so hoffte er, ein eigenes Stück Land in Iowa erwerben zu können. Als Daniel näher kam, sah Will, dass seine normalerweise gelassene Miene einem Ausdruck der Sorge gewichen war. Will wusste sofort, dass irgendetwas nicht stimmte.
»Die Schule«, sagte Daniel atemlos, seine Wangen rot, seine Nase lief dank der beißenden Kälte. »Irgendetwas ist an der Schule los.« Er wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab.
»Was ist passiert?« Wills Herz schlug schneller, und schuldbewusst erkannte er, dass seine Gedanken zuerst zu P. J. geeilt waren; Augie fiel ihm erst einen Augenblick später ein.
»Irgendwas mit einem bewaffneten Mann.« Daniel nahm seine Mütze ab. »Meine Schwester hat mich gerade angerufen. Meine Nichte und mein Neffe gehen auf die Schule – sie ist vollkommen panisch. Sie meint, eine große Gruppe Eltern wäre an der Schule und versucht herauszufinden, was vor sich geht.«
»Meine Schwiegertochter unterrichtet die vierte Klasse.« Nun nahm Will auch seine Mütze ab. »Ich muss meinen Sohn anrufen. Willst du zu deiner Schwester fahren?«, fragte er und biss sich auf die Unterlippe.
»Ich dachte, du willst vielleicht nach P. J. und Augie sehen«, erwiderte Daniel. Er griff in seine Tasche und holte ein Taschentuch heraus, mit dem er sich die Nase putzte. »Und natürlich nach Todds Frau.«
»Danke, das weiß ich sehr zu schätzen, Dan«, erwiderte Will dankbar. »Nummer siebenundachtzig und Nummer hundertvierunddreißig werden heute noch kalben. Kannst du in der Nähe bleiben?« Er zeigte auf eine breitschultrige Schwarzbunte, deren Euter und die geschwollenen Flanken aussahen, als wollten sie jeden Moment platzen.
»Verlass dich auf mich«, erwiderte Daniel und klopfte seinem Boss auf die Schulter. »Wenn du etwas Neues hörst, lass es mich wissen.«
Die beiden gingen schnell, aber schweigend zurück zum Haus. Die einzigen Geräusche waren der Wind, der zwischen den Außengebäuden hindurchpfiff, und das sanfte Muhen der Rinder, die sich nun satt und zufrieden zusammendrängten, um sich gegenseitig zu wärmen.
»Wer würde so etwas tun?«, brach Daniel schließlich das Schweigen und zog sich seine Mütze fester über die Ohren.
Will schüttelte überfragt den Kopf. Er kannte jeden Menschen in Broken Branch, und auch wenn es ein paar Verrückte gab, konnte er sich nicht vorstellen, dass einer von ihnen bewaffnet in eine Schule eindringen würde. »Ich weiß es nicht, Daniel. Ich werde hinfahren und sehen, was ich in Erfahrung bringen kann.« Er ging ins Haus und machte sich gar nicht erst die Mühe, seinen Overall oder die Arbeitsschuhe auszuziehen. Er nahm sich lediglich das Handy, das er selten benutzte, und durchquerte das Wohnzimmer, ohne darauf zu achten, dass seine Stiefel Dreck und Kuhdung auf Marlys gutem Teppich verteilten. In seinem kleinen Büro öffnete er das Schloss seines Waffenschranks, holte seine Mossberg 500 Pump Action Flinte heraus und steckte sich eine Schachtel Patronen in die Jackentasche. Nur für den Fall.
AUGIE
Mr Ellery tritt auf den Flur hinaus, und Noah und Justin folgen ihm bis zur Tür. »Setzt euch wieder hin. Sofort«, befiehlt er. Seine Stimme ist so ernst, dass selbst Noah ihm sofort gehorcht.
»Was geht hier vor?«, fragt Beth Cragg nervös und kaut auf ihren Fingernägeln. Beth ist für mich in Broken Branch das, was einer Freundin am nächsten kommt. Unsere Großmütter sind Freundinnen und haben vergeblich versucht, unsere Mütter zu Freundinnen zu machen, als sie in unserem Alter waren. Ich schätze, sie dachten, das hier wäre ihre zweite Chance, denn keine zehn Minuten, nachdem P. J. und ich auf der Farm angekommen waren, tauchten Beth und ihre Großmutter mit einer Platte Zitronenschnitten auf. Aber ich war diejenige, die aussah, als hätte sie an einer Zitrone geleckt, als ich Beth das erste Mal traf. Wir schienen so verschieden zu sein. Beth ist das totale Farmmädchen. Sie trägt jeden Tag Levi’s und John-Deere-Sweatshirts oder T-Shirts mit Werbung für den McGee Futterladen. Sie ist eines dieser Mädchen, die von Natur aus hübsch sind, es aber nicht wissen. Sie hat Sommersprossen und trägt ihr seidiges braunes Haar entweder in einem
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