Bis Zum Letzten Tropfen
des Dachs steht, ein Zeichen.
– Das Geld.
Der Schläger zieht einen Umschlag aus der Jackentasche und wirft ihn in eine der schlammigen Pfützen.
Ich mustere Predo.
– Haben Sie das vorher einstudiert?
Er zuckt mit den Schultern.
– Eigentlich nicht. Der Mann hier zeigt tatsächlich Initiative.
Ich bücke mich und hebe den Umschlag auf.
– Ganz bezaubernd.
Er überquert das Dach.
– Vertrödeln Sie nicht allzu viel Zeit bei Ihrem Schneider, Pitt. Ich will, dass Sie mir schnellstmöglich Bericht erstatten.
Ich schüttle stinkendes Wasser von dem Umschlag.
– Ja, ja, schon verstanden. Sonst Rübe ab und das ganze Programm.
Er bleibt vor der Tür zum Treppenhaus stehen.
– Richtig. Und falls es Ihnen entgangen sein sollte: Die Schlange derjenigen, die Sie in Stücke reißen werden, falls Sie versagen sollten, ist ziemlich lange geworden.
Ich fische das Geld aus dem Umschlag.
– Das wäre ja nichts Neues.
Er überlegt einen Augenblick.
– Ja, Sie waren immer ein gefragter Mann.
Ich zähle die Scheine.
– Apropos.
Er bleibt stehen.
Ich sehe von dem Umschlag auf.
– Dieser Dickens-Fan, den Sie da oben haben. Der mit dem Fagin-Tick. Jammer?
– Ja.
Ich sehe mir die Scheine genauer an, ob es nicht vielleicht doch Spielgeld ist.
– Den mach ich kalt.
Er betrachtet seine Schuhe und blickt wieder auf.
– Erledigen Sie Ihren Auftrag, Pitt. Was Sie danach mit Ihrem erworbenen politischen Kapital anfangen, ist Ihre Sache. Trotzdem muss ich Sie darauf hinweisen, dass der Mord an einem Koalitionsmitglied unsere anderen Vereinbarungen null und nichtig machen könnte.
Ich stopfe das Geld in meine Hosentasche.
– Na ja, da ich mal davon ausgehe, dass Sie mich letzten Endes sowieso verarschen, ist das auch schon egal.
Er nickt.
– Ich muss zugeben, das klingt vernünftig.
Er dreht sich erneut um und bleibt stehen.
– Nun, da wir sowieso schon beim Thema sind, muss ich eine meiner gerade getroffenen Aussagen revidieren.
– Ach?
– Ich sagte, ich würde mich nicht damit aufhalten, Ihr Leben zu bedrohen. Aber selbst auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Ich versichere Ihnen, dass dies mit Abstand die wichtigste Angelegenheit ist, mit der ich Sie jemals betraut habe. Also lassen Sie mich klarstellen, dass ich Sie bei unserem nächsten Zusammentreffen töten werde, sollten Sie auch nur daran denken, mich zu verraten. Mit meinen eigenen Händen. Und es wird mir großes Vergnügen bereiten.
Er zieht eine Augenbraue hoch.
– Ich muss wohl nicht gesondert erwähnen, dass ich auch einen Fehlschlag als Verrat behandeln werde? Nein? Das dachte ich mir.
Und die Tür fällt hinter ihm ins Schloss.
Ich sehe wieder hinüber nach Manhattan.
Es ist immer noch da. Genau dort, wo ich es zum letzten Mal gesehen habe.
Und was ist mit ihr? Ist sie auch noch dort, wo ich sie zurückgelassen habe? In der Obhut der Enklave. Ist sie noch dieselbe wie damals? Mit einem neuen Durst, um den sie nie gebeten hat?
Ob sie noch lebt?
Evie.
Ich wende mich ab, und die Lichtreflexe tanzen noch einen Moment lang in meinem Auge.
Ich sterbe. Jeden Moment. Jetzt sofort. Ich sterbe auf der Stelle, wenn ich nicht endlich eine Scheißzigarette in die Finger kriege.
Ich verlasse das Dach des Freedman-Heims, indem ich über die Feuertreppe humple, folge einem überwucherten Pfad zur Straße, und als ich die McClellan Street hinaufblicke, entdecke ich die erleuchtete Fassade eines 24-Stunden-Minimarkts. Ich könnte den Laden ohne weiteres mit nur einem Schuh, einem Auge und blutverkrusteter Kleidung betreten. Schließlich ist das hier die Bronx. Trotzdem sollte ich vielleicht versuchen, mein Erscheinungsbild etwas weniger aufsehenerregend zu gestalten.
Ich biege in die Walton Avenue ein und gehe nach Norden. Ein paar Nachtschwärmer haben sich auf der 167th vor den Geschäften versammelt. Die Läden sind bis auf eine der üblichen Bodegas geschlossen, und die Schilder davor sind typisch für die Gegend: Geldtransfer, Steuerberatung, Abogado, Peliculas, Mobiltelefone, Mode-Outlet, Beautysalon, Callshop, Reisebüro.
An der Straßenecke lungern ein paar Kids vor dem U-Bahn-Eingang rum. Ein Joint und mehrere in Papiertüten gewickelte Bierflaschen machen die Runde. Die Fahrer zweier illegaler Taxis stehen vor dem Supermarkt und trinken café con leche .
In sicherer Entfernung überquere ich die Straße, wobei ich Straßenlaternen, Baumwipfel und die Telefon- und Fernsehkabel, die sich zwischen den großen
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