Bis Zum Letzten Tropfen
Wohnblocks an der Walton spannen, einer eingehenden Betrachtung unterziehe.
Auf Höhe der Marcy Avenue finde ich endlich, wonach ich suche. Ich klettere einen Laternenmast hinauf und pflücke ein Paar Turnschuhe herunter, die dort über einer Leitung hängen. Jetzt lebe ich ja schon ein paar Jährchen in dieser Stadt, aber ich habe immer noch nicht den blassesten Schimmer, wieso die Leute Schuhe auf die Stromleitungen werfen.
Ich hocke mich auf die Bordsteinkante und ziehe mir die Turnschuhe an, ohne sie zuzuschnüren. Sie sind mir zu eng – obwohl der rechte etwas besser passt als der linke. Schon zahlt es sich aus, dass ich nur noch einen großen Zeh habe.
Ein Stück weiter die Straße hinauf springe ich in die Höhe und packe die unterste Sprosse einer Feuerleiter, an der ich hinaufklettere, bis ich einen Absatz im zweiten Stock erreiche. Dort hat jemand über Nacht seine Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Ich nehme ein grünes Le-Tigre-Poloshirt und eine khakifarbene Hose von der Leine, werfe beides auf den Gehsteig und steige wieder runter. In einer kleinen Seitenstraße zwischen den Gebäuden ziehe ich mein blutiges Hemd und meine Hose aus und schlüpfe in die neuen Sachen.
Na ja, die Klamotten entsprechen nicht unbedingt meinem Geschmack, aber es gab nun mal nichts anderes in meiner Größe.
Meine alten Kleider knülle ich zu einem Bündel zusammen und stopfe sie ganz unten in einen Müllcontainer. Bis auf meine Jacke. Die rolle ich zusammen, wickle sie in altes Zeitungspapier und klemme sie unter den Arm.
Auf der 170th Street befindet sich eine weitere Ladenzeile. Vor der Bodega hier lungert niemand herum. Ich humple in den Supermarkt. Als mich der Verkäufer hinter der kugelsicheren Plexiglasscheibe bemerkt, fallen ihm fast die Augen aus dem Kopf.
Wie es aussieht, hätte ich mir den Garderobenwechsel ebenso gut sparen können. Einäugige weiße Typen in Popper-Klamotten fallen hier einfach auf. Außerdem mache ich unterm Strich einen zu abgerissenen Eindruck, als dass ich etwas anderes als ein Junkie sein könnte. Und der Verkäufer weiß genau, wie er mit Junkies umzuspringen hat.
– Verpiss dich.
Ich verpisse mich nicht.
Er zieht eine Hand unter dem Tresen hervor, zeigt mir eine Dose Pfefferspray und deutet auf die Tür.
– Zwing mich nicht dazu, das hier zu benutzen, blanco .
Ich deute auf mein verbliebenes Auge.
– Da würd ich mal einen Scharfschützen holen, wenn das Spray überhaupt was bringen soll.
Darüber muss er erst mal nachdenken.
Während er nachdenkt, lege ich einen Zwanziger in die Durchreiche unter der Plexiglasscheibe.
– Gib mir einfach ein paar Schachteln Luckies und Streichhölzer.
Geld regiert die Welt, auch wenn es von einem Typen stammt, der ein Poloshirt trägt, das offensichtlich nicht ihm gehört.
Er wirft zwei Zigarettenpäckchen in die Durchreiche.
Ich sehe sie mir an.
– Nein, nein, nicht den Scheiß. Gib mir die richtigen, die Filterlosen.
Er wendet sich dem Regal mit den Zigaretten hinter ihm zu.
– Ich hab nur welche mit Filter oder Lights. Keine Filterlosen.
Ich lege einen weiteren Zwanziger in die Durchreiche.
– Dann gib mir die Schere da.
Während er den Preis für die Schere in die Kasse tippt, öffne ich beide Zigarettenschachteln. Ich klopfe so lange gegen den Boden einer Schachtel, bis die Filter oben rausgucken, öffne die Schere und schneide sie ab. Dasselbe mache ich auch mit der anderen Schachtel. Den Müll lasse ich zusammen mit dem Rückgeld in der Durchreiche liegen.
Der Typ deutet auf den Abfall, während ich zur Tür gehe.
– Ich bin doch nicht die Müllabfuhr, du Penner.
Ich halte eine meiner zurechtgestutzten Zigaretten in die Höhe.
– Sportsfreund, du hast noch mal Glück, dass ich dir den Schuppen nicht bis auf die Grundmauern niederbrenne.
So viel zum Thema keine Aufmerksamkeit erregen.
Aber Scheiße, was soll’s? Das hier ist schließlich die Bronx.
Als ich in die Rockwood Street biege, fahre ich mit der Hand über die Stäbe des Gitters, das den kleinen Spielplatz an der Ecke vom Rest der Welt trennt. Meine Finger berühren einen Stab nach dem anderen. Tagsüber spielen hier Kinder. Das weiß ich, weil ich sie von meinem Schlupfloch nebenan hören kann. Zu dieser Jahreszeit besteht ihre Hauptbeschäftigung darin, durch den Wasserstrahl eines Springbrunnens zu hüpfen und den silbernen Knopf an einer roten Säule zu drücken, mit dem man den Strahl wieder einschalten kann, wenn er versiegt.
Eigentlich
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