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Bis Zum Letzten Tropfen

Bis Zum Letzten Tropfen

Titel: Bis Zum Letzten Tropfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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höre ich den Kindern ganz gerne zu.
    Sentimental. Romantisch.
    Predo hat ja keine Ahnung. Er wirft mir solche Wörter an den Kopf, weil er glaubt, dass er mich damit auf die Palme bringt. Er geht davon aus, dass ich ein Problem mit mir selbst habe. Mit dem, was ich bin. Er glaubt, er kann mich mit seinen Psychospielchen nervös machen.
    Wenn ich mir jemals Gedanken darüber machen würde, was ich bin, würde es mich vermutlich tierisch aufregen. Aber warum sich den Kopf über Dinge zerbrechen, die man sowieso nicht ändern kann.
    Daher muss ich mich auch mit dem Loch hier abfinden. Es ist einer von etwa einem halben Dutzend Schlupfwinkeln, zwischen denen ich pendle, eine verfallene Lagerhalle voller Autowracks in einem asphaltierten Hinterhof. Die dazugehörige Autowerkstatt befindet sich einen Block weiter auf der 172nd. Das hier ist nur ein so gut wie nie genutzter Abstellraum.
    Ich klettere über einen Gitterzaun und lande auf der anderen Seite zwischen einer Mauer und einem alten roten Lieferwagen. Hinter dem Lieferwagen führen ein paar Stufen zu einer Tür, die von rostigen Angeln gehalten wird. In einer Nische über der Tür ist ein vom Regen glattgeschliffener Widderkopf angebracht. Die Wände sind aus bröckelnden Ziegelsteinen gemauert, die auf einem Kalksteinfundament errichtet wurden.
    Alles ist scheißalt hier.
    Ich drücke gegen die Tür, und sie lässt sich etwa einen halben Meter öffnen, bevor sie gegen einen Motorblock stößt. Ich zwänge mich durch den Spalt und schließe die Tür hinter mir. Als ich den Schlupfwinkel entdeckte, war er offen, daher habe ich kein Schloss angebracht. Ein brandneues Schloss an einer morschen Tür erregt nur unnötig Aufsehen. Manche Orte sind so gottverlassen, dass es sicherer ist, man lässt sie so, wie sie sind.
    Ich greife in eine der leeren Zylinderkammern des großen V8-Motors, ziehe meine Taschenlampe heraus und schalte sie ein. Wären die Fenster nicht mit Brettern vernagelt, würde genug Licht eindringen, damit ich was sehen kann. Doch dem ist leider nicht so.
    Der Schein der Lampe fällt auf haufenweise ölverschmierten Schrott. Es sieht aus, als hätte jemand die Überbleibsel von einhundert Stockcarrennen zur späteren Verwendung hier abgeladen.
    Da hatte ich wirklich Glück, so eine herrschaftliche Heimstatt zu ergattern.
    Ich umrunde die Schrotthaufen und gehe zu meinem Schlafplatz, der sich an der Nordwand unter der eingedellten Motorhaube eines ’49er Ford befindet. Hinter den unterschiedlich großen Autositzen, aus denen ich mir ein Lager gebaut habe, ziehe ich einen verdreckten Nylonwäschesack hervor, in dem sich meine weltliche Habe befindet, darunter ein paar schwarze T-Shirts. Endlich kann ich das pastellfarbene Polohemd loswerden. Gott sei Dank. Ein Paar Reservestiefel sind auch drin, damit ich mich nicht mehr in diese scheißengen Turnschuhe quälen muss. Aber leider keine Jeans, weshalb ich weiter mit der Khakihose vorliebnehmen muss. Zumindest wird sie langsam richtig speckig und ölig, was das Ganze erträglicher macht. Außerdem liegt in dem Nylonsack eine Tasche mit Zusatzbesteck – ich sehe hinein und vergewissere mich, dass alles an seinem Platz ist: Plastikschlauch, Nadeln, Blutbeutel.
    Aber keine Knarre, kein Schnappmesser und kein Zippo.
    Dafür haufenweise Taschenbücher. Da ich ständig in Bewegung bleibe, ist ein DVD-Player eher hinderlich. Und außerdem teuer. Ich löse die Gummibänder von der Ausgabe von Shogun, die ich nie fertiggelesen habe, öffne sie und nehme einen Messingschlagring und ein Rasiermesser aus dem ausgehöhlten Buch.
    An der Wand ist ein Wasserhahn angebracht, der mit abblätternder Bleifarbe gestrichen ist. Ich schnappe mir meine Jacke, das Le-Tigre-Hemd und eine kleine Schachtel mit Waschmittel, die ich aus einem Automaten in einem Waschsalon gezogen habe. Ich befeuchte das Hemd, schütte etwas Seifenpulver drauf und mache mich daran, das Blut von der Jacke zu schrubben.
    Nicht zum ersten Mal.
     
    Ich trete ins Freie, schließe die Tür hinter mir und werfe einen Blick auf das Stadt-des-Lichts -Glaubenszentrum auf der anderen Straßenseite. Man könnte es für Ironie halten, dass sich mein Unterschlupf ausgerechnet gegenüber einer Kirche befindet. Aber das hat mit Scheißironie nichts zu tun, sondern ist ganz normaler Alltag in der beschissenen Bronx. Hier gibt es Kirchen wie Sand am Meer. Man kommt keine zwei Blocks weit, ohne auf eine zu stoßen.
    Die Pfingstgemeinde der Kirche von Jerusalem II. Die

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