Bis Zum Letzten Tropfen
meines Geldes zeige, macht er die Türen wieder auf.
Er beobachtet im Rückspiegel, wie ich einsteige.
Ich deute mit der Hand.
– Nach Süden.
Er fährt los.
– Wie weit?
Ich lehne mich in die Lederpolster zurück und zünde mir eine Zigarette an.
– Nicht allzu weit. Aber fahren Sie über die Malcolm, okay?
Er biegt links auf die 145th ab.
– Okay. Dann eben die malerische Route.
Ich kurble das Fenster herunter, um den sommerlichen Gestank Manhattans riechen zu können.
– Klar. Die malerische Route. Wieso nicht.
Was verschafft einem die Gewissheit, dass man beobachtet wird? Ganz einfach: Man trifft ein geheimes Abkommen mit einem gewissen Jemand, der einem erst vertraut, wenn er einen gefesselt vor sich hat und mit einer Waffe in Schach hält. Wichtig ist außerdem, dass dieser Jemand dich nicht leiden kann.
Sobald dieses hohe Maß an gegenseitigem Vertrauen erst einmal etabliert ist, stellt sich eigentlich nur noch die Frage: Wenn ich aber gar nicht verfolgt werden will, wie stelle ich das an?
Und die Antwort darauf lautet zwangsläufig: Ich gehe dahin, wo man es von mir erwartet.
Und anschließend gehe ich woanders hin.
Das Taxi hält an der Kreuzung Second Avenue und 73rd. Einen Moment lang sitze ich im Wagen, einen Fuß auf dem Gehweg, und überlege, ob ich ihn wieder einziehen, die Tür schließen und nach Süden fahren soll.
Als dieser Moment vorbei ist, steige ich aus, schließe die Tür, und das Taxi fährt davon.
Nein. Stimmt nicht.
Ich steige zwar aus, und das Taxi fährt davon. Das schon. Aber der Moment ist nicht vorbei. Es ist fast, als würde mich eine Art magnetisches Feld südlich der 14th Street anziehen. Jetzt, wo ich wieder auf der Insel bin, wird diese Kraft immer stärker.
Davon lenke ich mich am besten ab, indem ich mich auf den Weg mache. Schwung hole. An Tempo zulege, damit meine Masse außerhalb des Einflussbereichs dieses Magnetfelds bleibt.
Ich marschiere auf der 73rd Richtung Osten. Was einen hinter dem Ereignishorizont erwartet, weiß man erst, wenn man ihn erreicht hat.
Das Gebäude befindet sich genau zwischen der 1st und der 2nd. Es ist nur vier Stockwerke hoch, dafür so breit wie drei Mietshäuser. Die großen Schaufenster im Erdgeschoss sind mit dunklem Papier abgeklebt, um den Anschein zu erwecken, dass gerade eine Renovierung im Gange ist. Am Straßenrand steht sogar ein halbvoller Schuttcontainer. Vor den Fenstern in den oberen Geschossen hängen dicke Vorhänge.
Zwei Stufen führen zu einem Säuleneingang hinauf.
Noch ist der neue Tag nicht angebrochen.
Genug Zeit, um kurz mal vorbeizuschauen und dann wieder zu verschwinden.
Ich steige die Stufen hinauf und drücke auf den Klingelknopf.
Es ist eine Riesensauerei.
Aber so was Ähnliches hab ich mir schon gedacht.
So etwas muss zwangsläufig in einer Riesensauerei enden. Und nur Leute, die man gemeinhin als Idealisten bezeichnet, würden das anders sehen. Allerdings bezeichne ich solche Leute gemeinhin als Arschlöcher . Klar, jeder hat das Recht auf seine Meinung, aber Arschlöcher der Gattung Idealist sind ganz besonders gut darin, alle anderen in die Scheiße zu reiten.
Um viele Leute unglücklich zu machen, braucht es nichts weiter als jemanden mit einem Traum und einer Vision.
Himmel, was für eine Sauerei.
Es stinkt. Es ist hoffnungslos überfüllt.
Angst. Verzweiflung. Elend.
All diese wunderbaren menschlichen Gefühle haben auch einen Geruch. Keinen besonders angenehmen. Und hier stinkt es so sehr danach, dass man kotzen könnte.
– Äh, Vorsicht. So. Ja. Sie müssen einfach, na ja, über sie drübersteigen. Ja, die Bedingungen sind nicht ideal. Sie kommen gerade ziemlich, äh, ungelegen. Aber das ist nur vorübergehend. Sobald die Renovierung abgeschlossen ist, können wir diese Leute angemessen, äh, beherbergen.
Ich folge seinem Rat und steige einfach über die Leute hinweg, die im Flur schlafen. Nun, eigentlich schlafen sie nicht. Sie beobachten uns durch zusammengekniffene Lider. Ein paar schnuppern an mir, während ich mir einen Weg durch die Gliedmaßen und Körper bahne.
– Hey. Hey, Mann.
Ich sehe in ein unrasiertes Gesicht, das mich von seinem Platz vor der Wandvertäfelung aus anstarrt.
Der Besitzer des Gesichts kratzt sich den dicken Bauch unter dem Superman-T-Shirt und deutet mit einem zusammengerollten Green Lantern -Comic auf mich.
– Hast du was dabei?
Ich gehe an ihm vorbei.
– Nein. Ich hab nichts.
Er setzt sich auf und wedelt mit dem Comic
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