Bis Zum Letzten Tropfen

und zweiten Stock in Wohnquartiere umwandelt? Man bestellt ja nicht einfach mal eben so hundert Stockbetten, ohne dass sich jemand fragt, wozu wir die überhaupt brauchen. Lauter so kleine Sachen. Der Aufzug. Ich kann ihn nicht reparieren lassen, weil ich nicht weiß, wo ich in der Zwischenzeit die ganzen Leute verstecken soll. In einem Gebäude von dieser Größe geht ständig irgendwas kaputt. Die sanitären Anlagen pfeifen aus dem letzten Loch. Und wenn sich keiner drum kümmert, wird es immer schlimmer.
    Sie wirft die Papiere in die Luft und steht einfach da, während sie an ihr vorbei zu Boden segeln.
    – Allein das Essen. Wir müssen es hier reinschmuggeln. Damit die Nachbarn nicht mitkriegen, wie viele wir sind. Ich kann ja nicht jeden Tag den Tiefkühlwagen anrollen und Zeug für eine ganze Kantine abladen lassen, oder? Also, Mann. Himmel. Scheiße.
    Sie seufzt, sieht mich an und lächelt.
    – Oh, Mann. Ich hör mich schon an wie mein Vater. Wenn er von der Arbeit heimkam, war er genauso. Das Labor, das Büro, irgendwas war immer. Er wollte einfach nur forschen, aber ständig ging es nur um ein Patent hier, die Regierungsaufsicht dort, oder dass der Aufsichtsrat ein Haufen von Schwanzlutschern ist.
    Sie reibt sich die Stirn.
    – Das macht einen voll fertig. Nicht im Labor sein zu können. Ich weiß, ich bin hierfür verantwortlich, ich hab das angefangen, und ich muss damit fertig werden, aber eigentlich will ich ganz was anderes machen. Verstehst du?
    Sie legt den Kopf in den Nacken und öffnet den Mund.
    – Aaaaaaaah.
    Sie rollt mit den Augen.
    – Das ist voll langweilig. Ich meine, letzten Endes geht’s doch um das Heilmittel, oder? Deswegen sind die ganzen Leute doch hier. Warum hab ich den Clan Heilung genannt, wenn ich überhaupt nicht dazu komme, eine zu finden?
    Sie lehnt sich gegen den Schreibtisch, öffnet eine Schatulle und nimmt eine Nelkenzigarette heraus.
    – Und dann das Vyrus. Das bereitet mir noch zusätzliche Kopfschmerzen. Es ist so empfindlich. Wirklich jämmerlich. Das Vyrus ist voll das Weichei. Andere Viren sind da viel robuster. Denk mal drüber nach.
    Sie kommt rüber, steckt die Zigarette in den Mund und beugt sich vor.
    – Hast du Feuer?
    Ich zünde ein Streichholz an, und sie hält die Zigarette an die Flamme.
    – Danke.
    Sie stößt eine Rauchwolke aus.
    – Denk mal drüber nach. Das Vyrus kann nur im menschlichen Körper überleben. Es kann nur durch Blut übertragen werden. Es ist so verdammt hyperaktiv, es befällt die Wirtszellen so schnell und brennt sie aus, dass man es ständig mit Nahrung versorgen muss. Außerdem tötet es seinen Wirt und nimmt sich so die Möglichkeit, sich zu reproduzieren. Ist das vielleicht nicht ineffizient oder wie? Echt, es ist wirklich armselig konstruiert. Als solches ist es geradezu ein Beweis für die Evolutionstheorie . Verstehst du? Denn wozu sollte Gott so einen Müll erschaffen? Intelligentes Design? Dass ich nicht lache.
    Sie geht zum Fenster hinüber und löst den Riegel der Fensterläden hinter den Vorhängen.
    – So was Vertracktes. Schon wenn ich es ansehe, krieg ich das Kotzen. Hast du mal versucht, es außerhalb des Wirtskörpers am Leben zu erhalten? Anstrengend. Weißt du, ein Heilmittel für ein Virus kann man nicht im Alleingang entwickeln. Selbst wenn man schlauer als alle anderen ist.
    Sie öffnet den Fensterladen einen Spaltbreit und zieht die Vorhänge zur Seite.
    – Das ist voll viel Arbeit. Kulturen züchten, Computermodelle machen, alles archivieren. Als würde man versuchen, einen Code zu entziffern. Weißt du, wie man Codes entziffert? Man gibt verschiedenen Teams nur jeweils ein Stück davon und passt auf, dass die Teams keinen Kontakt zueinander haben. Damit keiner weiß, woran er da überhaupt arbeitet. So muss ich vorgehen. Weißt du, in meinem Labor bei Horde Bio Tech arbeiten ja keine Arschlöcher . Na ja, manche sind schon Arschlöcher, aber es sind verdammt schlaue Arschlöcher. Wenn man denen das ganze Vyrus zeigen würde, wenn sie mal einen Blick auf sein Verhalten werfen könnten – die würden glatt ausflippen . Aber eins ist echt abgefahren.
    Sie dreht sich um. Das Licht einer Straßenlaterne fällt durch den Spalt im Vorhang auf ihr Gesicht. Ihre perfekte Haut scheint zu schimmern.
    – Wirklich irre.
    Sie hebt ihre Hand ins Licht und beobachtet sie.
    – Das Licht. Was man mit Licht alles anstellen kann. Diese Typen von der Arizona State University, die haben Viren in Blutproben mit einem