Bis Zum Letzten Tropfen
Bourbon.
Amanda kommt rüber und hebt die Flasche auf.
– Stimmt was nicht, Joe?
Ich stecke meine linke Hand unter die Jacke und betaste meine rechte Achselhöhle.
– Ich hab hier eine Skalpellklinge, die müsste mal jemand rausmachen.
Amanda nickt und bewegt sich auf die Tür hinter der Bar zu. Im Vorbeigehen schnappt sie sich eine Flasche Scotch.
– Na, dann komm mal mit. Ich weiß, das ist nicht deine Marke, aber helfen wird er auf alle Fälle, du harter Kerl.
Sie öffnet die Tür zum Badezimmer.
– Und während ich dich verarzte, kannst du mir ja erzählen, was du gesehen hast und was Sela auf keinen Fall erfahren darf.
Ich hocke auf dem Rand der Badewanne, den Arm hinterm Kopf, damit das Mädchen mit einer langen Pinzette in meiner Achselhöhle herumstochern kann. Sie hat die Wunde mit dem Rasiermesser erneut geöffnet, und ich nehme einen Schluck Scotch nach dem anderen. Das hilft zwar nicht gegen die Schmerzen, spült aber zumindest den Geschmack des Flusswassers aus meinem Mund.
– Okay. Okay. Nicht bewegen.
Ich beiße die Zähne zusammen.
– Ich beweg mich ja gar nicht.
– Und nicht atmen, okay? Ich krieg das Ding nicht richtig zu fassen. Es ist verdammt glitschig.
Ich halte die Luft an.
Sie beißt sich auf die Zunge, zieht an und reißt die Skalpellklinge zusammen mit einem ansehnlichen Fleischbrocken aus meinem Körper.
– Wow. Das ist voll eklig, Joe.
Ich drehe den Hals, um unter meinen Arm sehen zu können.
– Da hab ich aber schon sauberere Schnitte gesehen.
Sie lässt Klinge und Pinzette ins Waschbecken fallen und reicht mir ein Handtuch.
– Klemm dir das unter den Arm.
Ich gehorche und nehme noch einen Schluck.
Amanda steht vor dem Waschbecken und betrachtet das Blut auf den dünnen Gummihandschuhen aus dem Erste-Hilfe-Kasten, die sie sich übergestreift hat, bevor sie ans Werk ging.
– Nabelschnurblut.
Ich nehme noch einen Schluck.
Sie zieht die Handschuhe aus.
Ich deute auf ihre ungeschützten Hände.
– Sei vorsichtig.
Sie runzelt die Stirn.
– Es ist tot, Joe. Mann, wie oft muss ich dir das denn noch erklären? Das Vyrus stirbt ohne Wirt. Es ist ein Weicheierreger.
Sie lässt Wasser über die blutige Klinge im Waschbecken laufen.
– Das hast du also in der Kühlbox gesehen. Nabelschnurblut. Darauf ist die Koalition scharf.
Ich beobachte, wie der Wasserstrahl das Blut aufwirbelt und es rosa färbt, bis es schließlich im Abfluss verschwindet.
Sie starrt ihr Spiegelbild über dem Waschbecken an.
– Nabelschnurblut ist abgefahrenes Zeug. Äußerst reich an Stammzellen. Zwar nicht zu vergleichen mit Knochenmark, aber trotzdem voll nützlich. Weißt du, wenn man anfängt, sich mit dem Vyrus zu beschäftigen, sich intensiv damit auseinandersetzt, zu was es in der Lage ist, landet man früher oder später bei den weißen Blutkörperchen. Oder überhaupt den Blutkörperchen, weil mit Plasma hat das Ganze so gut wie nichts zu tun. Und die Blutplättchen kann man auch vergessen. Außer, man erforscht die Gerinnungsfaktoren oder so.
Sie dreht sich um und zieht das Handtuch aus meiner Achselhöhle.
Die Blutung hat aufgehört, und die Wunde hat sich bereits geschlossen.
– Aber darum geht’s nicht beim Vyrus.
Sie wringt das Handtuch aus, und mein Blut tropft in das Waschbecken.
– Vielmehr dreht sich alles darum, dass es konsumiert . Dass es angreift. Das ergibt auch Sinn. Mann, es ist so dermaßen offensichtlich, dass es das Vyrus auf weiße Blutzellen abgesehen hat. Nicht, um sie unschädlich zu machen, bevor sie zurückschlagen können, sondern um in sie einzudringen. Um sie dazu zu bringen, nach seiner Pfeife zu tanzen. Weißt du, die Anzahl der T-Zellen im infizierten Blut ist unglaublich hoch. Besonders die der zytotoxischen T-Zellen. Die der T-Gedächtniszellen aber auch. Aber die T-Suppressorzellen? Fehlanzeige. Was wiederum bedeutet, dass die zytotoxischen T-Zellen, also die, die Eindringlinge und Erreger bekämpfen, Amok laufen und den ganzen Körper angreifen müssten. Eigentlich sollten sie alles vernichten. Tun sie aber nicht.
Sie lässt das Handtuch fallen.
– Weil die Zahl der T-Gedächtniszellen so verdammt hoch ist. Und die halten die zytotoxischen Zellen in Schach. Sie erinnern sie daran, was sie angreifen sollen und was nicht. Daher der Name.
Sie sieht mich im Spiegel an.
– Probleme gibt es erst dann, wenn das Vyrus nicht mit Blut gefüttert wird. Dann sterben die Gedächtniszellen ab. Und die armen kleinen zytotoxischen
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