Bis Zum Letzten Tropfen
fester zu.
– Hör mir zu, Baby. Ich weiß, dass ich eine Menge Fehler gemacht habe. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sie wiedergutzumachen. Wir müssen los. Ich weiß ja nicht, ob es dir schon aufgefallen ist, aber du bist in einem verdammten Irrenhaus.
Sie richtet sich auf und stellt sich vor mich hin.
– Ob es mir schon aufgefallen ist? Es ist mir aufgefallen, du Hurensohn. Mir ist sehr wohl aufgefallen, dass du mich in diesem Scheißirrenhaus zurückgelassen hast!
Ich blicke zu ihr auf.
– Jetzt bin ich ja wieder da.
Sie klatscht dreimal langsam in die Hände.
– Mein Held ist zurück. Der Prinz, der die Jungfrau rettet.
Ich betrachte ihren Fuß. Er ist blasser als blass. Von den Nägeln blättert roter Nagellack.
– Hör mal. Ich weiß, es ist hart. Aber ich hab’s dir nie erzählt, weil ich dachte, du würdest mich für verrückt halten. Und weglaufen. Ich hab befürchtet, ich würde vielleicht irgendwas Dummes anstellen, um dir zu beweisen, was ich in Wahrheit bin. Dann hättest du noch mehr Angst gekriegt. Und wärst weggelaufen. Dann hätte ich dich nie wiedergesehen.
Ich scharre mit den Füßen und überlege, wie ich meinen Worten das nötige Gewicht verleihen kann.
– Deswegen hab ich’s dir nicht erzählt. Aber wir haben jetzt keine Zeit. Bald bricht hier die Hölle los, und es ist besser, wenn wir vorher verschwinden. Wir müssen los.
Ich sehe sie an, hebe die Schultern und lasse sie wieder fallen.
Sie stemmt die Hände in die Hüften.
– Findest du es schlimm, dass es der Graf war, der mich infiziert hat?
Ich blicke mich um. Sehe überall dorthin, wo sie nicht ist.
– Ja.
– Ja, ich auch.
Dann zwinge ich mich, sie anzuschauen, bemerke ihre Wut und sehe schnell wieder weg.
– Mein Blut hätte dich vielleicht umgebracht. Das funktioniert alles nach ganz bestimmten Regeln. Da kann nicht jeder jeden infizieren. Oder so ähnlich.
– Ja, das steht auch in Daniels Tagebüchern. Ist auch nicht so tragisch, dass es nicht du warst, der mich infiziert hat. Wenn es nur nicht dieser Wichser gewesen wäre.
Ich ziehe die Zigarettenschachtel aus der Tasche und betrachte sie.
– Ich weiß. Ich weiß, es ist nicht so gelaufen, wie du es dir vorgestellt hast. Dieses Leben hier, die Infektion überhaupt. Das weiß ich. Ich hab versucht, dich davor zu beschützen. Ich... ich hab... Scheiße.
– Du...
Sie stößt ein kleines, hässliches Lachen aus.
– ... du verdammter Idiot.
Ihre Faust kracht gegen meinen Hals. Ich sacke zusammen, und mein Kopf prallt gegen den Boden.
– Glaubst du, das macht mir was aus?
Sie hebt die Tasse mit dem Blut auf.
– Glaubst du wirklich, das macht mir auch nur das Geringste aus?
Dann setzt sie die Tasse an die Lippen und leert sie.
– Ich lag im Sterben, Joe. Ich war wirklich kurz vorm Abkratzen. Es hat so wehgetan. Ich hatte solche Angst. Ich wollte leben. Ich hab gebetet. Ich hab geschworen, alles zu tun, wenn ich nur weiterleben darf. Wenn ich nur die beschissenen Schmerzen loswerde und die Angst. Einfach weiterleben. Dafür hätte ich alles getan. Ich hab mir geschworen, alles zu tun.
Sie geht vor mir in die Hocke und legt ihre Hand auf mein Kinn.
– Und ich lebe noch.
Sie hebt meinen Kopf und zwingt mich, ihr in die Augen zu sehen.
– Ich will nicht sterben. Niemals. Ich will ewig leben, Joe. Ich will nie wieder solche Angst haben.
Sie hält mir die Tasse vors Gesicht.
– Und wenn das hier dazu nötig ist, dann ist es eben so. Ich hab geschworen, alles zu tun.
Sie lässt mich los und richtet sich wieder auf.
Ich betrachte das zerknüllte Zigarettenpäckchen in meiner Hand, reiße es auf, ziehe eine zerbrochene Lucky hervor, schiebe sie mir zwischen die Lippen, nehme sie wieder aus dem Mund, stopfe sie wieder in die Packung zurück, hole sie wieder raus.
– Das wusste ich nicht.
Sie lehnt sich gegen das Regal und drückt ihr Gesicht gegen die Bücher.
– Woher auch, Joe? Wie denn? Ich komm mir blöd vor, weil ich nicht kapiert hab, was du bist. Da ist es ja nur natürlich, dass du dir mies vorkommst, weil du nicht wusstest, dass ich genauso werden wollte wie du, damit ich nicht sterben muss. Wie bescheuert. Die ganze Welt ist so verrückt und bescheuert.
Sie sieht mich an.
– Und es wird noch schlimmer werden.
Sie legt ihre Hände auf die Bücher.
– Er hat gezweifelt, wusstest du das? Was die Natur des Vyrus angeht. Am Ende hat er gedacht, dass die Welt vielleicht gar nicht nach dem Vorbild des Vyrus neu
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