Bis Zum Letzten Tropfen
erschaffen werden muss, damit es irgendwann nur noch die Enklave gibt. Er hatte Zweifel. Aber dieses Arschloch da draußen? Er macht aus Daniels Glaube, aus einer Tradition, die so lange weitergegeben wurde, etwas Böses und Hässliches und Gefährliches.
Ich schüttle den Kopf.
– Du hast Daniel nie kennengelernt. Du weißt gar nicht, wie gefährlich er gewesen ist.
Sie zieht ein Buch heraus und schlägt es auf.
– Er hat einen Kreuzzug geplant. Oder so was in der Art. So viel weiß ich. Aber er hatte Zweifel.
Ich rappele mich auf.
– Baby, wir müssen wirklich los.
Sie schlägt das Buch zu.
– Der Graf, dieser Hohlkopf, hat nicht den leisesten Funken eines Zweifels. Er ist borniert und verwöhnt und ein Riesenarschloch, Joe. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er diese Fanatiker auf ihren Kreuzzug schickt. Er wartet nur noch auf eine günstige Gelegenheit. Und dann? Dann geht das Sterben los. Und dieser Ort hier...
Sie breitet die Arme aus.
– ... wird zerstört werden.
Sie stellt das Buch zurück.
– Aber das will ich nicht. Ich will nicht, dass jemand stirbt. Auch nicht meine Freunde hier. Ich will nicht sterben, Joe.
Sie sieht mich an.
– Ich wurde doch erst wiedergeboren. Ich will nicht sterben.
Sie verschränkt die Arme.
– Ein paar von ihnen vertrauen mir. Weil ich das letzte Mitglied der Enklave bin, das Daniel persönlich ausgesucht hat. Sie glauben, ich wäre auserwählt. Weil ich so lange gefastet habe. Und so verdammt zäh bin. Ich halte es länger aus als jeder andere. Ich verkrafte die Schmerzen und den Hunger und die Krämpfe. Das Vyrus dringt ziemlich tief in mich ein, bevor ich es füttern muss. Und umgekehrt. Dank AIDS und der Chemotherapie hab ich gelernt, hart gegen mich selbst zu sein. Daher glauben gerade genug Enklavejünger an mich, dass der Graf nicht einfach so seinen heiligen Krieg ausrufen kann.
Ich nicke, schüttle den Kopf, blicke zur Decke und dann auf den Boden.
– Baby, das alles, es ist nicht mehr wichtig. Was der Graf und diese anderen Arschlöcher wollen, Macht oder was weiß ich, es ist nicht mehr von Bedeutung. Alles wird den Bach runtergehen, egal, was sie jetzt noch tun.
Ich schaue zu ihr, will auf sie zugehen.
Aber bleibe dann doch, wo ich bin.
– Ich könnte vielleicht... keine Ahnung. Aber wenn du mir eine Chance gibst, könnte ich es möglicherweise wiedergutmachen. Ich will...
Ich strecke den Arm aus.
– Komm mit mir. Jetzt. Komm mit.
Sie macht ein Geräusch. Genau jenes Geräusch, das sie von sich gab, als sie sterbend im Krankenhaus lag.
– Jahre. Jahre lag ich im Sterben. Jahre, die ich mit dir verbracht habe. Aber du, du warst nicht der, für den du dich ausgegeben hast. Du warst nicht das, wofür ich dich gehalten hab. Du... du... du...
Die Sehnen an ihrem Hals treten hervor.
– Das alles hier bedeutet mir nichts. Ich könnte sofort von hier verschwinden. Und dieses Leben mit dir zusammen leben. Es wäre möglich.
Sie beißt die Zähne zusammen.
– Aber du hast mich angelogen . Immer wieder.
Tränen tropfen neben ihren Füßen auf den Boden.
– Ich weiß jetzt, was du bist.
Sie ballt die Fäuste, so dass ihre Knöchel noch blasser werden.
– Aber ich weiß nicht, wer du bist.
Dann deutet sie auf den Boden.
– Zur Hölle mit dir, Joe Pitt. Zur Hölle mit dir.
Sie springt auf mich zu und rammt mich gegen ein Regal, so dass die Bücher auf den Boden fallen.
Es wäre falsch, zu behaupten, dass mir der nächste Satz schwerfällt. Eigentlich nicht. Wenn es nur eine Sache zu sagen gibt, dann sagt man sie einfach.
– Baby, ich bin der Kerl, der dich liebt. So wie immer.
Sie schließt die Augen und lehnt ihren Kopf gegen meine Brust. Mein Herz hört auf zu schlagen.
– Na ja, das ist ja schon mal was, Joe.
Sie öffnet die Augen und blickt zu mir auf.
– Aber nicht genug.
Dann löst sie sich von mir.
– Jetzt nicht mehr.
Sie geht in die Knie, um die Bücher aufzuheben.
– Du gehst jetzt besser.
Ich sehe ihr dabei zu, wie sie die Bücher an den richtigen Platz zurückstellt, Daniels Gedanken wieder in Ordnung bringt.
Dann stelle ich mir Leichenberge in den Straßen vor.
Mit toten Körpern vollgestopfte Hinterzimmer. Lastwägen, die die Toten wegbringen. Wie die Koalition und die Society und der Hood und Amandas Clan sich gegenseitig an die Gurgel gehen. Wie sich das Ganze nach Brooklyn und in die Bronx ausbreitet. Ich stelle mir die Van Helsings vor, die auf das Chaos aufmerksam werden und auf die Jagd
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