Bis Zum Letzten Tropfen
gehen. Und die Treibjagden, die Soldaten und Polizisten veranstalten.
Ich male mir die Zukunft aus.
Man kann der Zukunft nicht entkommen. Selbst wenn man ein Loch gräbt, sich drin verkriecht und die Erde wieder über sich schüttet, wird die Zukunft von unten angekrochen kommen und dich noch tiefer runterziehen.
Vor der Zukunft kann man sich nicht verstecken.
Aber sonst verhält es sich mit ihr wie mit allen anderen Dingen. Wenn man nur genug Hass aufbringt, kann man sie töten.
Und im Moment ist mein Hass auf die Zukunft ziemlich groß.
Ich ziehe meine Jacke aus, leere die Taschen und stecke meine wenigen Habseligkeiten in die Hose.
– Ja, ich muss los.
Sie schaut nicht von den Büchern auf.
– Ja.
Ich halte ihr die Jacke hin. Die Jacke, die sie mir vor Jahren zu meinem angeblichen Geburtstag geschenkt hat.
– Kannst du drauf aufpassen?
Sie betrachtet die Jacke.
– Die hat auch schon mal besser ausgesehen.
Ich klappe das Zippo auf.
– Mir gefällt sie immer noch.
Sie nimmt mir die Jacke ab.
Ich zünde meine Zigarette an.
– Ich bin bald wieder da, um sie zu holen.
Sie schüttelt den Kopf.
– Mach dir keine Umstände, Joe.
Ich puste Rauch in die Luft.
– Baby, wenn du mich jetzt nicht haben willst, dann gehe ich wieder. Aber ich werde zurückkommen.
Sie schüttelt erneut den Kopf.
– Joe.
Ich kriege Rauch ins Auge und bin für einen Augenblick geblendet.
– Evie. Ich hab einen Krieg angezettelt, nur um dich wiederzusehen.
Ich reibe mir den Rauch aus den Augen.
– Da wird es mich kaum aufhalten, dass du jetzt sauer auf mich bist.
Sie hätte fast gelächelt. Aber nur fast.
Stattdessen reißt sie ein Stück des Innenfutters aus der Jacke.
– Komm her.
Ich gehe zu ihr.
Sie bindet mir den schwarzen Stoffstreifen um den Kopf, so dass mein totes Auge bedeckt ist.
– Jetzt geh.
Sie nickt.
– Mein Pirat.
Dann küsst sie mich.
Es ist ein bitterer Kuss.
Aber immerhin ein Kuss.
– Hey, hey, das war’s? Du latschst einfach so hier raus?
Ich höre auf rauszulatschen und sehe den Grafen an.
– Jetzt ist die Gelegenheit, Mann.
Er deutet auf das obere Stockwerk.
– Du hast so viel Zeit mit der feinen Dame da oben verbracht, da könnte man schon erwarten, dass du ihr etwas Einsicht in die Realität vermittelt hast.
Ich blicke auf.
– Sie kennt die Realität.
Ich zucke mit den Schultern.
– Und sie gefällt ihr nicht besonders.
Er runzelt die Stirn.
– Warum haut sie dann nicht einfach ab?
Ich rücke den Stoffstreifen zurecht, den sie mir vor die leere Augenhöhle gebunden hat.
– Weil du ein Irrer bist und sie aufpassen will, dass du keine allzu große Scheiße baust. So hab’s ich zumindest verstanden.
Er wackelt mit den Zehen. Einer der Knochen, die aus seinem kaputten Fuß ragen, kratzt über den Boden.
– Dass ich keine allzu große Scheiße baue. Mann, diese Schlampe riskiert echt eine gewaltige Abreibung, wenn sie sich nicht sofort vom Acker macht.
Ich betrachte seinen verstümmelten Fuß.
– Weißt du, woran ich denken muss, wenn ich dich sehe?
Er stemmt die Hände in die Hüften.
– Woran?
Ich kratze mir den Kopf.
– Ich denke: Warum zum Teufel hab ich dieses Arschloch nicht gleich umgebracht? Und dann fällt mir ein: Ach so, ja, kein Grund zur Eile, das kann ich ja immer noch erledigen.
Er nickt, legt den Kopf schief und hält sich eine Hand ans Ohr.
– Hörst du’s? Hörst du’s, Mann? Dieses Ticken? Weißt du, was das ist?
Er nimmt die Hand vom Ohr und bewegt sie wie ein Metronom hin und her.
– Das ist die Zeit, die du noch hast. Sie läuft ab.
Er hält die Hand wieder ruhig.
– Ich weiß zwar nicht genau, wie viel Zeit dir noch bleibt, aber so rasend viel kann’s nicht sein. Weißt du, du bist mir aus genau zwei Gründen nützlich. Und sobald die hinfällig sind, ist deine Zeit gekommen.
Er hebt den Zeigefinger der anderen Hand.
– Punkt eins hast du schon mal vergeigt. Mann, was glaubst du eigentlich, weshalb du hier bist? Die Irre da oben ist deine Braut. Wenn selbst du sie nicht zur Vernunft bringen kannst, wer dann? Das war Grund Nummer eins. Vergeigt.
Er hebt einen weiteren Finger.
– Punkt zwei ist die bereits erwähnte Tatsache, dass ich einen Feldmarschall brauche. Aber der Einstellung nach zu urteilen, die du hier an den Tag legst, bist du an diesem Job nicht sonderlich interessiert.
– Du warst schon immer ein ganz Heller.
Sein Finger bleibt stehen.
– Ding!
Er schüttelt den Kopf.
– Zeit
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