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Bis Zum Letzten Tropfen

Bis Zum Letzten Tropfen

Titel: Bis Zum Letzten Tropfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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Wir sind keine Volltrottel, die sich wie tickende Bomben in irgendwelche Menschenmengen stürzen und anfangen, Körperteile auszureißen, bis uns die Spezialeinheiten abknallen. Der Punkt ist: Das hier ist ein Kreuzzug. Die Enklave tötet nicht aus Rache, sondern um zu säubern. Sie reinigt die Welt, aber vor allem auch die Menschen, die dabei draufgehen. Und das verlangt eine gewisse Disziplin. Irgendjemand muss die Schlachtordnung aufrechterhalten, Joe.
    Er schleicht sich noch näher an mich ran.
    – Ich brauche einen Feldmarschall.
    Ich ramme ihm den Lauf meiner Waffe zwischen die Rippen.
    Er starrt auf sie hinab.
    Ich sehe ihn an.
    Und dann stelle ich die einzige Frage, die von Bedeutung ist.
    – Lebt sie noch?
    Er blickt zu mir auf und rollt mit den Augen.
    – Lebt sie noch? Mann, hast du mir überhaupt zugehört?
    Die Hand eines seiner Bodyguards schnellt vor und nimmt mir die Pistole ab.
    Der Graf macht große Augen.
    – Hoppla! Wie ist das denn passiert?
    Er lacht.
    – Na, egal, Mann. Lebt sie noch? Das ist doch genau der Punkt. Das sind diese Spannungen, von denen ich rede. Alte Schule gegen modernes Denken.
    Er sieht mich an.
    Ich sehe ihn an.
    Er seufzt.
    – Für so was hast du kein Verständnis, oder?
    Er nimmt mich beim Arm.
    – Komm mit.
    Dann zieht er mich durch den Flur, der entlang einer Reihe von kleinen Zellen durch das Obergeschoss führt.
    – Den anderen Scheiß, die Feldmarschallsache und so, regeln wir später.
    Er deutet auf das Ende des Flurs, wo vier Enklavejünger vor einer geschlossenen Tür stehen.
    – Jetzt feiert erst mal euer Wiedersehen.
    Er gibt mir einen Schubs in den Rücken.
    – Und tu mir bitte einen Gefallen, wenn du da reingehst: Bring die verdammte Jeanne d’Arc zur Vernunft, okay?
    Er dreht sich um und schreitet zurück in Richtung Treppe.
    Ich starre auf die Tür.
    Dann gehe ich darauf zu. Es fühlt sich an, als würde ich auf wackligen Stelzen drei Meter über dem Boden laufen.
    Die Enklavemitglieder sind für die Verhältnisse hier noch ziemlich kräftig. Sie treten von der Tür zurück. Einer klopft, bevor er sie für mich öffnet.
    Ich trete ein.
    Sie hockt auf dem Boden und hält eine kleine Tasse in ihrer linken Hand. Ihr Blick gleitet über die handbeschriebene Seite eines Buches, das aufgeschlagen auf ihrem Schoß liegt.
    Ihre Augen verharren.
    Ihr Finger markiert eine Stelle auf der Buchseite.
    Dann schaut sie auf.
    Sie hockt genauso auf dem Boden wie bei unserer letzten Begegnung. Aber sonst ist alles anders. Damals hatte sie sich gerade damit abgefunden, bald sterben zu müssen. Sie war ausgemergelt und entkräftet von den Chemikalien, die man ihr gegen das AIDS in den Körper gepumpt hatte, ihr rotes Haar war büschelweise ausgefallen. Sie war ein Geist, der sich langsam auflöste.
    Und jetzt seht sie euch an.
    Sie ist klapperdürr, haarlos, ohne jede Sommersprosse auf der alabasterfarbenen Haut.
    Und sie vibriert vor Energie.
    Sie wendet sich wieder ihrem Buch zu.
    – Hey, Joe. Bist du gekommen, um mich noch mal umzubringen?
     
    – Es war schlimm. Natürlich war es schlimm. Ich dachte, ich wäre verrückt geworden und das alles wären nur Halluzinationen. Dieser Ort hier, das Ganze. Ich tippte auf die Schmerzmittel. Dann fiel mir auf, dass alle Weiß trugen, und dachte, ich wäre gestorben und müsste irgendwelche Prüfungen überstehen oder so. Ich hab sehr lange gebraucht.
    Sie blättert ein paar Seiten ihres Buchs um.
    – Deshalb sind sie auch auf mich aufmerksam geworden. Weil ich so lange gebraucht hab, bis ich es versucht habe.
    Sie schüttelt den Kopf.
    – Blut.
    Dann beißt sie sich auf die Unterlippe.
    – Schon komisch, dass ich so lange gewartet habe. Ich war ja nie besonders religiös. Aber ich dachte wirklich: Was, wenn ich in dem Augenblick zur Hölle fahre, in dem ich den ersten Schluck nehme? Das konnte unmöglich real sein, das war viel zu abgefahren. Egal, was ich damals dachte, sie hielten mich jedenfalls für was Besonderes, weil ich gleich nach der Infektion so lange ohne Blut durchhalten konnte. Aber dann hab ich’s nicht mehr ausgehalten. Ich hab es gerochen, als sie ihre Fastenzeit beendeten. Es roch so verdammt gut. So ein Scheiß, hab ich gedacht. Das alles ist sowieso nicht real. Es ist das Morphium, es lässt mich nicht mehr aufwachen, also kann ich’s genauso gut probieren. Dafür werd ich nicht zur Hölle fahren. Und ich hab’s probiert.
    Sie schüttelt den Kopf.
    – Und danach war’s mir egal, ob ich zur Hölle

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