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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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hatte, Rache zu nehmen.
    Raphael schlug die Augen auf und bemerkte, dass es keine Freude war, die er empfand, sondern Verzweiflung. Er hatte gebetet und sich diesen Moment ausgemalt. Aber nun, da die Rache sein war, erkannte er, dass seine Gebete falsch und sündhaft gewesen waren. In einem furchtbaren Moment der Panik und Selbstsucht hatte Lucien seine Geliebte und seineTochter zum Tode verurteilt. Raphael selbst hatte viele solcher Momente gehabt – Momente, in denen er die Zerstörung geplant, den Hass angehäuft hatte, Momente, die sich zu Jahren vervielfacht hatten, die dieser Zerstörung und dem Hass gewidmet waren. Und doch konnte nichts davon seine Mutter und seine Schwester zurückbringen.
    „Aurore!“ Er drehte sich um und rannte zurück zu Gulf Coast und zu der Straße, die ihn zum Bahnhof führen würde. Zum ersten Mal wusste er, wovor er davonlief und wohin er lief. Er konnte nichts an dem Inferno ändern, das er zurückließ, doch er konnte Luciens Tochter vor dem bewahren, was vor ihr lag. Sie durfte nicht erfahren, was hier geschehen war. Sie durfte niemals erfahren, welchen Anteil er an der Zerstörung ihrer Familie hatte.
    Neben dem Gulf-Coast - Gebäude blieb er stehen, um Luft zu holen. Er konnte den Wind im Rücken spüren, starke Böen, die Rauch aufwirbelten und glimmende Trümmerteile über den Boden wehten. Etwas stach in seinem Nacken, und er wischte ein glühendes Kohlestückchen auf den Boden. Als er sich drehte, sah er einen Schimmer auf dem Hof, wo die Dauben gelagert wurden. Während er zusah, wurde das Schimmern stärker. Das Holz, imprägniert mit entzündlichen Chemikalien, würde schnell in Flammen aufgehen.
    Das Bürogebäude von Gulf Coast würde zerstört werden. Selbst als er das Klappern von weiteren Wagen hörte, wusste er, dass sie zu spät kamen. Er hielt nach Luciens Kutsche Ausschau, aber Fantome kam entweder später, oder es gab kein Durchkommen für ihn.
    Lucien war noch immer oben im Büro, und es war nur eine Frage der Zeit, bis das Gebäude einstürzen würde. Es war noch Zeit, um ihn zu retten, jemanden zu finden, der sicherlich dafür sorgen würde, dass er aus der Gefahrenzone gebracht wurde. Es war noch Zeit – doch gab es auch einen Grund?
    Raphael ging zur Tür, blieb dann stehen, hin- und hergerissenzwischen altem Hass und neuen Einsichten. Vor seinem inneren Auge sah er Aurores Gesicht und wusste, dass er nicht mit ihr würde zusammenleben können, wenn er diesen letzten, verhängnisvollen Schritt seiner Rache gehen würde. Er hatte die Tür gerade aufgerissen und wollte hineinrennen, als er jemanden rufen hörte.
    „Étienne!“ Als hätten seine Gedanken sie heraufbeschworen, tauchte Aurore aus dem Rauch auf, hustend und atemlos. „Étienne!“
    Zwei weitere Personen erschienen hinter ihr, Ti’Boo und Jules. Sein Herz schlug schneller. Aurore fiel ihm in die Arme. „Was machst du hier?“ Er schob sie zurück und packte ihre Schultern. „Was machst du?“
    „Ich … wir haben das Feuer gesehen. Es ist die Dowager, Étienne!“
    Er sah, dass sie weinte. Angst ergriff ihn. „Man kann nichts mehr tun!“
    „Und das Dock! Étienne, das Dock! Alles, was mein Vater aufgebaut hat. Zerstört.“
    „Das ist egal. Wir müssen hier weg. Das Büro wird auch in Flammen aufgehen. Der Wind weht in diese Richtung!“ Als sollten seine Worte untermalt werden, erklang aus der Richtung des Holzlagers das Brüllen der Flammen. Was zuerst nur ein Glühen gewesen war, waren jetzt meterhohe Feuersäulen.
    „Wir müssen retten, was zu retten ist! Alles, was wir können!“
    „Wir können nichts mitnehmen, das es wert wäre, gerettet zu werden, Aurore.“ Er wollte sie zu Jules schieben, aber sie rührte sich nicht.
    „Wir müssen es versuchen!“
    „Nein! Wir müssen hier weg! Jules, nimm sie mit! Geht zur Rampart Street, ich komme in ein paar Minuten nach. Ich muss noch sichergehen, dass sich niemand mehr im Gebäude befindet.“
    „Im Gebäude?“ Aurore bewegte sich noch immer nicht.
    „Aurore, du musst gehen! Jetzt!“ Ihm fiel nichts Besseres ein, um sie zum Gehen zu bewegen, außer einem Teil der Wahrheit. „Dein Vater war hier. Ich habe ihm gesagt, dass wir zusammen die Stadt verlassen werden. Er war wütend. Ich weiß nicht, ob er anschließend gegangen ist. Ich muss nachsehen. Du kannst nicht mit. Er sollte dich nicht noch mal sehen – nicht wenn du mit mir verschwinden willst!“
    Sie riss die Augen auf. Er wusste, dass er sich immer an ihren Anblick

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