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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Nicolette.
    „Ich habe dir etwas mitgebracht.“
    „Mir?“ Nicolette wirkte überrascht. „Warum?“ Sie dachte noch einmal darüber nach, bevor die Frau antworten konnte. Die Frage zu stellen lag nicht gerade in ihrem Interesse. „Merci . Hören Sie? Ich kann Französisch sprechen. Alle Frauen im Magnolia Palace müssen Französisch sprechen können, weil einige der Männer es hören wollen. Ein Stück die Straße hinauf ist ein Haus, das Französisches Haus heißt. Waren Sie schon mal da? Sie sprechen dort allerdings kein Französisch. Sie machen französische Dinge.“
    „Woher weißt du, was dort gemacht wird, Nicolette?“ „Sie kennen meinen Namen?“
    Die Frau nickte. „Ja.“
    „Wie kommt das?“
    „Ich kannte deine Mutter.“
    Nicolette dachte nicht mehr an das Äffchengesicht und den Spiegel. Sie runzelte die Stirn. „Ich habe keine Mutter.“
    „Ich weiß, aber früher hattest du eine. Ich kannte sie. Und ich weiß, dass heute dein sechster Geburtstag ist.“
    „Niemand hat mir etwas von einem Geburtstag erzählt!“ Das Mädchen staunte.
    „Das müssen sie vergessen haben.“ Die Frau holte eine kleine Schachtel aus ihrem Kleid hervor. Das Kästchen war in Silberpapier eingeschlagen und mit einer weißen Seidenschleife verziert. „Das ist dein Geburtstagsgeschenk.“
    „Sind Sie sich sicher?“
    „Allerdings.“ Die Frau streckte den Arm aus und ergriffNicolettes Hand. Ihre Hand war so weich wie die von Violet, doch sie zitterte.
    „Machst du es jetzt auf?“ Sie legte die Schachtel auf Nicolettes Schoß.
    „Gern.“ Nicolette riss das Papier auf. Als sie den Deckel der Schachtel anhob, lag vor ihr ein herzförmiges goldenes Medaillon. „Für mich?“
    „Ja. Aber, Nicolette, es muss ein Geheimnis bleiben.“ Nicolettes Augen begannen zu strahlen. „Ein Geheimnis?“ „Ja, mein Engel. Du darfst es niemandem erzählen, vor allem nicht deinem Vater.“
    „Warum?“
    „Er würde sich dann über mich ärgern.“ Die Stimme der Frau stockte einen Moment lang. Nicolette vermutete, dass die Frau vielleicht Krupphusten hatte. Nicolette hatte selbst schon einmal schlimmen Husten gehabt, und die Herzogin hatte sie gezwungen, Wein mit geschmolzenem Kerzenwachs darin zu trinken.
    „Hat er dir je etwas über deine Mutter erzählt?“, fragte die Frau.
    Nicolette strich mit den Fingern über das Medaillon. „Ich habe keine Mutter.“
    Die Frau lehnte sich zurück. „Also hat er dir nichts erzählt.
    Er war sehr unglücklich, als deine Mutter weggegangen ist.“
    „Sie ist gestorben.“
    „Ja, als sie in den Himmel gegangen ist. Er wollte nicht an sie erinnert werden. Und dieses Medaillon hat ihr gehört.“
    „Meiner Mutter?“
    „Ja.“
    Nicolette hielt das Herz in die Höhe und ließ es an der goldenen Kette baumeln, sodass die sechs winzigen Diamantrosen im Sonnenschein funkelten. Es war einfach und schlicht, nicht wie der Schmuck, den die Frauen im Haus trugen. „War sie hübsch?“
    „Oh, nicht so hübsch wie du! Aber sie hat dich geliebt, sehr sogar. Und sie wollte dich nicht verlassen.“
    Nicolette streifte die Kette mit dem Medaillon über ihre Locken. Es verhakte sich, doch es gelang Nicolette, es ohne die Hilfe der Frau zu lösen. „Dann hätte sie nicht sterben sollen“, sagte sie.
    „Manchmal entwickeln sich die Dinge nicht so, wie wir es uns wünschen, meine Liebe.“
    „Eigentlich brauche ich gar keine Mutter. Ich habe Violet und Clarence.“
    „Und deinen Vater …“
    Nicolette wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie zuckte die Achseln. „Und Mr Rafe.“
    „Nennst du ihn so?“
    „Jeder nennt ihn Mr Rafe.“
    „Ist er gut zu dir, Nicolette?“
    Nicolette war verwirrt. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht.
    „Tut er dir jemals weh?“
    Nicolette schüttelte den Kopf. „Er wird mich lieber mögen, wenn ich ihm keine Mühe mehr mache.“ Sie hörte ein Klopfen. Die Frau hatte es auch gehört. Nicolette sah, wie sie einen Blick aus dem Seitenfenster der Kutsche warf.
    „Weißt du noch, was ich dir über das Medaillon gesagt habe?“, fragte die Frau. „Du musst den Anhänger verstecken, sonst wird dein Vater wütend auf uns beide.“
    Nicolette versuchte, das Medaillon zu öffnen.
    Die Frau griff danach und drückte gegen die Kanten, bis die beiden goldenen Herzhälften aufsprangen. „Hast du gesehen, wie man es macht?“
    Die Kleine nickte ernsthaft. „Aber es ist leer.“
    „Irgendwann kannst du ein Foto hineintun.“
    Wieder erklang das Klopfen.

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