Bis zur letzten Luge
etwas anzubieten – zumindest nichts von dauerhaftem Wert. Er brachte ihr Geschenke mit, kaufte die Lebensmittel ein, wenn er bei ihr wohnte, und lud sie zum Essen ein, sooft sie es zuließ. Aber er hatte ihre Beziehung so betrachtet wie schon die anderen Beziehungen in seinem Leben zuvor: Sie waren zusammen, bis sie sich entschlossen, getrennte Wege zu gehen. Er würde es verstehen, wenn ein anderer, hingebungsvollerer Mann seinen Platz in ihrem Leben für sich beanspruchte. Und sie akzeptierte es, wenn er für seine Arbeit so lange unterwegs war, dass sie einander fremd waren, wenn er zurückkehrte.
Jetzt lag er mit hinter dem Kopf verschränkten Armen neben ihr im Bett und starrte an die Decke. Der Raum war in einem dunklen Granatrot gestrichen, und die Decke war dunkelbraun. Die Morgensonne fiel durch die durchscheinenden Vorhänge, doch die Fenster waren schmal, und das Licht konnte die Dunkelheit im Zimmer kaum vertreiben.
Belindas Zuhause war ihre Zuflucht. Ein Ort, an den sie sich zurückziehen und sich vor einer Welt verstecken konnte, die sich nie besonders für sie interessiert hatte. Sie war in Armut aufgewachsen, in einem Haus, in dem die Kinder zu dritt auf einer Matratze geschlafen hatten. Das älteste Kind hatte früh gelernt, zu kochen, zu putzen und sich um die jüngeren Geschwister zu kümmern. Ihre Mutter war nach der Geburt des sechsten Kindes gestorben. Sie habe einfach aufgegebenund sei gestorben, hatte Belinda Phillip einmal erzählt, weil sie es nicht mehr habe ertragen können, morgens die Augen aufzuschlagen und die Welt zu sehen, in die hinein ihre Kinder geboren worden waren.
Die zweite Frau ihres Daddys hatte noch vier Brüder und Schwestern mitgebracht. Dann war auch ihr Daddy gestorben, und die Kinder waren unter Familienmitgliedern aufgeteilt worden, die selbst schon viel zu viele Kinder hatten. Belinda hatte mehr Glück gehabt als ihre Geschwister. Als eine der Ältesten war sie zu der Tante ihres Vaters geschickt worden. Die Tante war eine alte Frau gewesen, die selbst keine Kinder gehabt hatte. Sie war fast blind und auf Belindas Hilfe angewiesen gewesen.
Der restliche Teil ihrer Kindheit und Jugend war ärmlich gewesen. Sie hatte ein Kleid für die Schule und ein Kleid für die Kirche besessen, und an Sonntagen war auch nichts anderes auf den Tisch gekommen als an den Wochentagen. Aber ihre Tante war nett gewesen, und nach ihrem Tod war klar geworden, warum sie so vorsichtig mit ihrer kleinen Pension umgegangen war. Als sie gestorben war, waren ihre Ersparnisse unberührt gewesen, und sie hatte Belinda alles hinterlassen, damit Belinda zum College gehen konnte.
Inzwischen waren Belindas Brüder und Schwestern überall verteilt. Ein Bruder hackte Mais auf einer Gefängnisfarm in Arkansas. Ein anderer verdiente seinen Lebensunterhalt, indem er Fernseher reparierte. Zwei ihrer Schwestern waren verheiratet und hatten eigene Kinder, und eine andere war im vergangenen Jahr tot neben einer Mississippi-Eisenbahnstrecke gefunden worden. Der Rest war fort, in alle Himmelsrichtungen und die entlegensten Winkel des Landes verstreut. Gelegentlich bekam Belinda einen Hinweis auf den Verbleib von einem von ihnen. Doch genauso oft erwies sich der Hinweis als falsch.
Ihre Vergangenheit erklärte, warum sie so wenig von Philliperwartete. Sie hatte in ihrem ganzen Leben ein Geschenk bekommen, und sie hatte es gut genutzt. Mit mehr rechnete sie nicht. Sie erwartete nicht, dass Phillip sie liebte oder bei ihr blieb oder sie auf eine besondere Art mochte. Menschen waren gekommen und gegangen, und irgendwann würde auch er zu Letzteren gehören.
„Worüber denkst du so intensiv nach?“
Die Frage war eine willkommene Ablenkung. Er drehte sich, damit er ihr Gesicht sehen konnte. Belinda wurde wach, wie sie alles andere tat. Sie rührte sich nicht großartig. Sie gab kein Geräusch von sich. Sie lag einfach ruhig da, als erwartete sie von der Welt nicht, sich irgendwie zu ändern, nur weil sie wieder zurück war.
„Über dich“, entgegnete er.
„Wirklich?“ Sie schenkte ihm ein schläfriges Lächeln.
„Das ist doch mal ein Start in den Morgen.“
„Was willst du von mir, Belinda?“
Sie wirkte nicht überrascht. Es gab nur sehr wenig, was sie überraschte. „Eine Tasse Kaffee wäre toll.“
„Und danach?“
„Es kommt mir vor, als wolltest du auf irgendetwas Bestimmtes hinaus …“
„Nicht auf Sex, falls du das meinst.“
„Könnte schlimmer sein.“
„Auf was, glaubst du,
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