Bis zur letzten Luge
worden, als sie in die Stadt zurückgekommen war. Was zuerst als große Tragödie betrachtet worden war, war in der Zeit ihrer Abwesenheit zu einem Rätsel geworden. Nach der fast vollständigen Zerstörung der Gulf Coast Dampfschifffahrtsgesellschaft saßen viele von Luciens Gläubigern auf einem Schuldenberg. Es ging das Gerücht, er habe sich das Leben genommen, weil die Versicherung von Gulf Coast erloschen sei. Ein anderes Gerücht behauptete, er habe bei den Prämien Geld sparen wollen, nachdem er so verschwenderisch viel für die Fertigstellung der Dowager ausgegeben hätte.
Die Geschichten, die man sich erzählte, hatten mit Luciens Tod nicht aufgehört. Man hatte sich an Claire erinnert, Claire, die jahrelang in einer Irrenanstalt eingesperrt gewesen war. Welcher Wahnsinn rächte sich an der Familie Le Danois? Und was war mit der Tochter, die nach dem Tod des Vaters verschwunden war? Was konnte man über eine junge Frau sagen,die nicht in der Stadt blieb, bis der Besitz der Familie Stück für Stück verkauft war und das Familienunternehmen aufgelöst? Aurore hatte New Orleans als letztes Mitglied einer stolzen Familie mit gutem Namen verlassen. Und sie war zurückgekehrt, um diesen Namen bis zur Unkenntlichkeit befleckt wieder vorzufinden.
Einige wenige Freunde waren ihr treu geblieben. Tim Gilhooley war geblieben, um von Gulf Coast zu retten, was zu retten war. Kein brillanter Geschäftsführer, jedoch gerecht und ehrlich, hatte Tim das bisschen erhalten, was er konnte: ein von Ratten bevölkertes Büro, weit entfernt von dem neuen Bürogebäude, das in Rauch aufgegangen war. Frachtkähne und Schlepper, die kaum mehr gebracht hätten als den reinen Schrottwert. Ein paar Verträge, noch weniger Versprechungen.
Sylvain Winslow, Aurores Vermieter, hatte sie auch weiterhin zu gesellschaftlichen Veranstaltungen eingeladen, die seine Frau organisierte. Einige Freunde, die sich unerschütterlich noch immer mit ihr zeigten, ließen sie nach wie vor am Rande an ihrem Leben und ihren Machenschaften teilhaben.
Das Wichtigste aber war, dass Ti’Boo nach New Orleans gezogen war. Eine weitere Flutkatastrophe hatte das Leben ihrer Familie am Bayou zerstört. Als Jules das Angebot bekommen hatte, im French Quarter im Eichamt zu arbeiten, hatten sie Lafourche verlassen und waren in die Stadt gekommen; jedes Jahr zur Zuckerrohrernte reisten sie allerdings zurück, um Freunde und Familie zu besuchen.
Ti’Boo schien in ihrem neuen Leben aufzublühen. Pelichere hatte einen kleinen Bruder bekommen: Lionel, der vom ersten Moment an Ti’Lee gerufen worden war. Sie war damit beschäftigt, ihre Kinder großzuziehen und ihnen in dem kleinen Shotgun House am Bayou Saint John ein Zuhause zu schaffen. In ordentlichen Beeten zog sie Gemüse und Kräuter und nahm die Kinder mit, um am Bayou Krebse zu fischen.
Wenn Aurore zu Besuch kam, duftete das Haus immer nach frisch gebackenem Brot und köchelnden Suppen.
In den Jahren nach Nicolettes Geburt hatte Aurore Unterstützung gebraucht. Jeden Morgen erwachte sie in einem Leben, das sie nicht wiedererkannte. Vorbei waren die Zeiten, in denen es üppige Mahlzeiten und leibliche Genüsse gegeben hatte. Kakerlaken nisteten in den Ritzen der Wände des alten Landhauses, und Hitze und Kälte machten ihr zu schaffen. Ein stinkender Graben trennte das Haus von der Straße, und sie bemühte sich, nicht zu sehen, was darin an ihrem Haus vorbeitrieb, wenn es heftig regnete.
Fantome und Cleo arbeiteten noch immer für sie. Vermutlich hätte keiner von beiden woanders eine Anstellung gefunden, wenn sie sie hätte gehen lassen: Fantome war zu alt, und Cleo neigte zu sehr dazu, alles genau so zu tun, wie sie es für richtig hielt. Beide waren ihr nach Luciens Tod über das normale Maß hinaus treu geblieben. Sie kümmerten sich um das Haus an der Esplanade Avenue, bis es verkauft war; dann zogen sie mit in die Frenchmen Street und versuchten, Aurore mit all dem, was vom Erbe der Le Danois und Frilouxs noch übrig war, ein Zuhause zu schaffen. Fantome lebte in den Räumen über dem Kutschenschuppen, Cleo hatte sich auf dem Dachboden eingerichtet.
Trotz ihrer Bemühungen fielen Aurore viele der täglichen Aufgaben zu. Sie ging auf den Markt, sooft sie es sich leisten konnte, und übernahm einen Großteil der Putzarbeiten im Haus. Fantome kümmerte sich um den Hof, die Kutsche und das Pferd, doch heimlich beschnitt Aurore die Pflanzen und jätete Unkraut, um es ihm leichter zu machen.
Früher
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