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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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hatte Aurore sich vorstellen können, dass er sie quälen würde, indem er das Kind, das er Nicolette nannte, ins Rotlichtviertel bringen würde, wo er die Kleine in der Gesellschaft von Prostituierten, Zuhältern und Betrunkenen aufzog.
    Aurore hatte Nicolette vor ihrem Geburtstag über Monate hinweg beobachtet. Aber sie hatte nie den Mut aufgebracht, sich ihr zu nähern. Doch an dem Tag – großer Gott, dem Tag aller Tage! –, als sie die Stimmen der Kinder bei den Stallungen gehört hatte, hatte sie Fantome angewiesen, neben das Haus zu fahren. Sie hatte gewusst, dass Rafe nicht da war, denn sie hatte beobachtet, wie er gegangen war; es wäre ihr aber auch egal gewesen, wenn er sie entdeckt hätte. Nicolette war so nahe gewesen. So nahe.
    Sie hatte sich begierig an dem Gesicht ihrer Tochter erfreut. Schon aus der Ferne hatte sie erkennen können, dass Nicolette hübsch war. Aus der Nähe hatte sich diese Einschätzung bestätigt.
    Nicolettes Haar – wurde es jemals von jemandem gebürstet, mit Schleifen zusammengebunden, mit liebevollen Händen glatt gestrichen? – war dunkel und lockig. Ihre Haut war dunkler als Aurores, fast so dunkel wie Rafes, mit einem goldenen Ton, der ihre haselnussbraunen Augen noch heller strahlen ließ und ihr einen Hauch von Exotik verlieh. Hätte Nicolette auch unerkannt als Weiße leben können? Hätte dieses Kind doch in die weiße Gesellschaft eingeschmuggelt werden können? Waren ihre Züge schmal genug, um ihre afrikanischenWurzeln nicht zu verraten? Hätte Aurore ihre Tochter behalten, sie aufziehen und ihr irgendwie verzeihen können, dass Rafes Blut durch ihre Adern floss? Sie wusste es nicht. Sie wusste es einfach nicht.
    Und sie wusste es noch immer nicht.
    Seit jenem Tag hatte sie an nichts anderes mehr gedacht.
    Mechanisch hatte sie den Alltag gemeistert. Und trotz ihrer Teilnahmslosigkeit würde sie genau das heute wieder tun. Sylvain Winslow war der einzige sichere Weg, um Gulf Coast wieder in die Geschäftswelt zurückzuführen. Als Zwischenhändler für Kaffee und Leiter der Handelskammer hatte Sylvain Verbindungen zu jedem in der Stadt, der das Leben von Gulf Coast entweder unterstützen oder auslöschen wollte. Er hatte Aurore Aufträge vermittelt und Gulf Coast weiterempfohlen. Aber die größte Hilfe waren seine Kontakte gewesen, mit denen er sie bekannt gemacht hatte. Auf Partys oder Bällen, Picknicks oder Abenden im Opernhaus – Vera und er achteten immer darauf, sie neben Leute zu setzen, die Gulf Coast fördern konnten.
    Indem sie ihr Vertrauen in Aurore gezeigt hatten, hatten Sylvain und Vera sie vor der gesellschaftlichen Isolation und Gulf Coast vor dem Bankrott bewahrt. Sie konnte es sich nicht leisten, ihre Einladung auszuschlagen, selbst wenn der Ausflug an den See den Rest ihrer Energie aufzehrte.
    Da sie selten unter Leute kam, brauchte sie keine umfangreiche Garderobe. Doch Cleo, die eine geübte Schneiderin war, hatte ein altes Sommerkleid aus hellblauem Leinen modernisiert und aufgefrischt. Es entsprach nicht ganz der aktuellen Mode, aber es war auch nicht so streng wie die Kleider, die sie im Büro trug. Mit Handschuhen aus Gamsleder und einem breitkrempigen Hut, der ebenso cremeweiß war wie das Korsett und der Kragen aus Spitze, würde es vermutlich gehen. Sie nahm die Haare am Hinterkopf zusammen, um den Hut aufzusetzen, und packte einen kleinen Handkoffer.
    Die Bahnstrecke, die direkt zum See führte, begann in der Elysian Fields Avenue, nicht weit von Aurores Zuhause entfernt. Die Smoky Mary, wie die Eisenbahnlinie zum See liebevoll genannt wurde, war spät dran. Der Bahnhof war vollkommen überfüllt, und die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel. Selbst der Hut, den Aurore mit Metern von rosafarbenem Chiffon um ihr Kinn gebunden hatte, bot keinen Schutz vor ihren Strahlen. Aurore stand auf dem Bahnsteig, wartete auf den Zug und lauschte dem musikalischen Wettstreit zwischen zwei Bands mit glänzenden Blasinstrumenten.
    Sie erinnerte sich an ihre Unterhaltung mit Nicolette. Das kleine Mädchen liebte offensichtlich Musik. Sie wünschte sich, ihre Tochter wäre hier bei ihr. Am See hätte sie Nicolette das Schwimmen beibringen können, wie Ti’Boo es ihr einst gezeigt hatte. Sie dachte an das Medaillon, das ihr gehört hatte, als sie noch klein gewesen war. Sie hatte es wochenlang an ihrem Herzen getragen, um es mit ihrer Liebe anzufüllen. Ein kleines, bedeutungsloses Schmuckstück für ihr einziges Kind.
    „Miss Le Danois?“
    Über

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