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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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bewundere ihn nicht. Ich hasse ihn!“
    „Das kommt mir nicht mehr so vor.“
    „Er hat meinen Vater auf dem Gewissen. Er hat mir mein Kind weggenommen.“
    „Ich denke, er hat möglicherweise weder das eine noch das andere getan.“ Auch Ti’Boo erhob sich. „Ich habe mich gefragt, warum Rafe getan hat, was er getan hat. Aber du hast dir diese Frage sicher unzählige Male gestellt. Und solange du keine Antwort darauf hast, findest du keinen Frieden.“
    „Frieden?“ Mit viel Schwung warf Aurore den Ball, der daraufhin hinter einem Strauch Süßer Duftblüten landete. „Für Frieden bin ich nicht gemacht.“
    „Bist du für Rache gemacht?“
    „Auf Rache bin ich längst nicht mehr aus. Ich will nicht, dass meiner Tochter etwas passiert.“
    „Ist das wirklich der Grund, Ro-Ro? Oder liegt es daran, dass du mittlerweile klarer siehst? Du sollst deinen Vater ehren – dazu hält uns die Kirche an. Aber musst du deshalb auch Lügen über ihn glauben? Lucien Le Danois war kein guter Mensch. Und Rafe hat dir deine Tochter nie weggenommen. Du hast sie ihm selbst in die Arme gelegt.“
    Aurore betrachtete sie. „Wie kannst du mir so etwas direkt ins Gesicht sagen?“
    Mit einem Mal wirkte Ti’Boo erschöpft und müde. „Weil ich älter werde und du dir diese Dinge nicht selbst eingestehst.“
    „Ich habe mein Leben immer so gelebt, wie ich es für richtig gehalten habe.“
    „Es ist zwar nicht wichtig, was ich denke, aber ich sage es dir trotzdem: Ich habe dich beobachtet, seit dein Vater gestorbenist und du geheiratet hast, RoRo. Ich habe beobachtet, wie du dich verändert hast. Du bist wie der Taschenkrebs, der sich einen so dicken Panzer zulegt, dass er ihn eines Tages verlassen und sich einen neuen zulegen muss.“ Sie sah ihre Freundin aufmerksam an. „Am Bayou warten wir den Zeitpunkt ab, an dem die Krebse aus ihren Panzern kommen. Aber wir haben es nicht auf die Panzer abgesehen – wir warten auf die Krebse, denn die sind eine Delikatesse. Wenn du weiterhin an deinem Panzer aus Lügen und Geheimnissen festhältst, wirst du ihn eines Tages verlassen müssen, RoRo. Und dann bist auch du très vulnérable.“
    Aurore war vollkommen überrascht. Ti’Boo hatte sie nie zuvor kritisiert. „Warum sagst du mir das ausgerechnet jetzt? Liegt es daran, dass ich so viel habe und du nicht? Bringt uns das am Ende doch auseinander?“
    „Ich bete zu Gott, dass ich niemals das bekomme, was du hast, RoRo.“ Sachte berührte Ti’Boo zum Abschied Aurores Arm und ging zum Haus, um Val zu holen.
    Im Sommer 1918 starb Claire Friloux Le Danois. In den letzten Jahren hatte sie ihre Umgebung immer weniger wahrgenommen, und eines Morgens war sie einfach von dieser Welt gegangen. Aurore hatte ihre Mutter oft besucht, obwohl man ihr davon abgeraten hatte – aber sie hatte gehofft, dass Claire sich durch ihre Besuche plötzlich wieder an alles erinnern würde. Doch es hatte nie das kleinste Anzeichen dafür gegeben.
    Claire wurde in der Familiengruft der Friloux auf dem Saint Louis Cemetery No. 2 beigesetzt. In einer Stadt unterhalb des Meeresspiegels gestaltete sich eine Erdbestattung schwierig. Stattdessen verwendete man oberirdische Grabgewölbe. Die Gruft der Friloux bot nur Platz für einen einzigen Leichnam. Nach dem körperlichen Verfall würden Claires Gebeine in eine tiefer gelegene Grabstätte gebracht werden,wo sie sich mit den sterblichen Überresten ganzer Generationen der Friloux vereinten. Das hielt Aurore für eine bessere Lösung als ein Einzelgrab. Wenigstens im Tod war ihre Mutter dann nicht mehr allein.
    Nach dem Krieg und mit dem Beginn eines neuen Jahrhunderts hatten sich die strengen Trauersitten gelockert. Es hatte zu viele Telegramme vom Kriegsministerium gegeben und zu wenig Zeit, um die Gefallenen zu ehren. Und so schmückte kein Trauerflor die Haustür, kein Spiegel wurde abgedeckt, keine Uhr angehalten. Der Gang zum Friedhof verlief in aller Stille. Keine Blaskapelle begleitete Claires Trauerzug, um ein Leben zu feiern, das im Grunde vor langer Zeit geendet hatte. Die Totenwache war ihrer würdig, aber glücklicherweise auch recht kurz.
    Nach der Beerdigung ihrer Mutter wurde Aurore ständig von der Vorstellung ihres eigenen Todes verfolgt. Bei der Totenwache hatte ihre Mutter das Kleid getragen, das Aurore für sie ausgesucht hatte. Claire hatte so verblüht ausgesehen, dass Aurore an eine ägyptische Mumie hatte denken müssen. Jedes Anzeichen von Leben war aus ihr gewichen. Aurore selbst war

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