Bis zur letzten Luge
vorher höchstens einmal Blumen gezüchtet hatten, wie man die jeweiligen Gemüsesorten anpflanzte und nach der Ernte haltbar machte. Auf das Drängen ihrer Freundin hin hatte auch Aurore einen großen Teil ihres preisgekrönten Rasens umgegraben und dort Gemüsebeete angelegt.
„Ich habe dir Saatgut mitgebracht“, sagte Ti’Boo. „Kohl, Senf und Steckzwiebeln.“
„Gut. Am hinteren Zaun ist noch Platz. Hugh kann mir beim Aussäen helfen, wenn es heute Abend etwas kühler wird.“
„Wie geht es ihm denn?“
„Wieder gut. Es war nichts Ernstes, nur ein leichtes Fieber.“ Aurore erinnerte sich daran, wie sie vor einer Woche völlig aufgelöst Ti’Boo angerufen hatte. Hugh war immer ein gesundes Kind gewesen, und seine allererste Kinderkrankheithatte sie aus der Bahn geworfen. Die Zeiten von Epidemien wie Gelbfieber oder Cholera waren längst vorbei, seit der Gesundheitspflege und der Schädlingsbekämpfung eine größere Bedeutung zugekommen war. Aber es gab noch immer andere Krankheiten, die für ein Kind gefährlich werden konnten. Als Aurore Hughs gerötete, heiße Wangen gefühlt und gehört hatte, wie schwer er Luft bekam, war sie sich sicher gewesen, dass er sterben würde. „Jeden Tag habe ich Angst, dass ich ihn verlieren könnte“, sagte Aurore leise.
„So geht es uns allen.“
„Ich liebe ihn einfach zu sehr.“
„Du brauchst ein zweites Kind.“
„Ich habe ein zweites Kind.“
Ti’Boo ergriff ihre Hand. „Gibt es irgendwas Neues von Nicolette?“
Inzwischen wusste Aurore, dass ihre Tochter nicht mehr im Magnolia Palace lebte. Vor einigen Jahren war Rafe mit ihr in ein kleines Haus abseits der Canal Street gezogen. Rafe hätte keine ungewohntere Umgebung für das Mädchen auswählen können, das inmitten des Rotlichtviertels aufgewachsen war. Die Kreolen, die dort lebten, legten großen Wert auf Familienzusammenhalt, Erziehung und gute Manieren. Möglicherweise würde Nicolette nie ein vollwertiges Mitglied dieser Gemeinschaft werden, aber sie würde sich einfügen. Sie konnte die Schule und die Kirche besuchen und vielleicht sogar ein paar Freunde gewinnen. Aurore war dankbar, unendlich dankbar, dass Rafe auf sie gehört hatte.
Aber hatte er das wirklich? Bei ihrer Begegnung im Audubon-Park war Rafe so kalt gewesen und hatte so spöttisch gewirkt. Hatte er ihre Bitten tatsächlich erhört und daraufhin Konsequenzen gezogen? Hatte sie ihn dazu gebracht, seine Meinung zu ändern? Oder war er mit ihrer gemeinsamen Tochter nur umgezogen, um sie noch weiter aus Aurores Reichweite zu bringen?
„Du hast sie nicht gesehen?“, fragte Ti’Boo.
„Es hat sich nie die Möglichkeit dazu ergeben.“ Aurore nahm Ti’Boos Hand und drückte sie. „Hast du gehört, dass der Rotlichtbezirk geschlossen werden soll? Es ist jetzt offiziell. In letzter Zeit hat es dort zu viele Unruhen gegeben, einige Seemänner sind verletzt worden. Die Navy hat darauf bestanden, und der Stadtrat hat gestern für die Schließung gestimmt.“
„Wie hat es überhaupt jemals einen solchen Ort geben können!“
„Rafe hat nicht nur in den Magnolia Palace investiert, Ti’Boo.“
„Woher weißt du das alles?“
Aurore wusste nicht, wie sie es erklären sollte. Sie hatte gelernt, genau zuzuhören, die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Leute zu bestechen. Sie war nicht stolz darauf, aber ohne diese Fähigkeiten hätte sie keine Kontrolle über ihr eigenes Leben gehabt. „Manchmal ist es leichter, eine Frau zu sein. Niemand rechnet damit, dass wir zuhören. Die Männer unterhalten sich auf Partys, als hätten wir Frauen keine Ohren.“
„Und diese Männer reden über Rafe Cantrelle?“
„Man kann auch etwas über Dinge erfahren, die nicht laut ausgesprochen werden. Aber es spielt keine Rolle, woher ich das alles weiß. Ich weiß es einfach.“
„Was passiert mit Rafe, wenn Storyville geschlossen wird? Hast du darüber auch etwas herausgefunden?“
„Das nicht. Aber ich kann es mir vorstellen.“ Aurore stand auf und hob Floppsys Ball auf. Der Hund lag ihr zu Füßen und starrte traurig zum Haus, in das er nicht durfte. Aurore warf den Ball und beobachtete, wie der Spaniel ihn eifrig holte. „Rafe Cantrelle wird es überleben. Er hat viel Schlimmeres überlebt. Es würde mich nicht wundern, wenn er daraus sogar einen Vorteil schlägt.“
„Du bewunderst ihn.“
Erstaunt wandte Aurore sich zu ihr um. „Wie kannst du so etwas sagen?“
„Es ist nicht wichtig, was ich sage.“
„Ich
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