Bis zur letzten Luge
in sie ergossen hatte. Samen, der nicht auf fruchtbaren Boden fallen würde, da sie wie immer Vorkehrungen getroffen hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben dachte er darüber nach, wie es wäre, Vater eines Kindes zu sein.
„Du bist furchtbar still“, murmelte sie.
Die Worte waren nicht anklagend gemeint. Belinda schien keine Erwartungen an ihn zu haben. Sie war keine Frau mit Hintergedanken. Phillip wusste, dass sie ihm damit nur sagen wollte, dass sie, sollte er reden wollen, zuhörte.
Er zog sie noch ein bisschen näher an sich heran. Im Zimmerwar es warm genug, aber er wollte die Innigkeit der gemeinsam verbrachten Augenblicke nicht verlieren. „Willst du mal eigene Kinder haben? Du kannst so gut mit den Kindern anderer Leute umgehen.“
„Nicht wenn es bedeutet, sie allein großzuziehen.“
„Ich schätze, das hast du bei anderen Frauen schon oft miterlebt, oder?“
Ihre Familie war arm gewesen, ihre Bildung und Unabhängigkeit hatte sie sich hart erkämpft. Er wusste, dass Belinda aus Erfahrung sprach und sie es schon oft hatte mit ansehen müssen.
„Ich dachte früher, ich sollte keine eigenen Kinder haben“, sagte sie. „Warum sollte ich ein Kind in eine Welt setzen, in der es wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wird?“
„Keines deiner Kinder würde jemals so behandelt werden.“
„Was ist mit dir? Willst du Kinder?“
„Ich führe kein Leben, in das ein Kind passen würde.“
Sie fragte nicht weiter. Sie hatte ihn nie zu einer Bindung oder Verpflichtung gedrängt. Entspannt und erfüllt lag sie neben ihm, und er spürte ihren Atem warm auf seiner Schulter.
Durch das Gespräch über Kinder musste er an etwas denken, das sie etwas früher gesagt hatte. Belinda glaubte, dass die Mädchen, die sie unterrichtete, keine echte Zukunft hatten, solange sie ihre Vergangenheit nicht verstanden. Seine Gedanken wanderten zu Aurore Gerritsen, und er fragte sich, ob das ein Grund dafür war, dass sie ihm ihre Geschichte erzählte.
Doch wessen Zukunft wollte Mrs Gerritsen sichern, indem sie ihre Vergangenheit preisgab? Ihre eigene? In ihrem Alter schien das keinen rechten Sinn zu ergeben. Die Zukunft ihres Sohnes? Nach allem, was er über Ferris Gerritsen wusste, schien das unwahrscheinlich zu sein.
„Mein Treffen mit Aurore Gerritsen ist nicht so verlaufen,wie ich es erwartet habe“, sagte er nach einer Weile.
„Nicht?“
Ihm wurde klar, dass er ihr erzählen wollte, was er gehört hatte. Es war eine Last auf ihm, die vielleicht leichter würde, wenn er mit Belinda darüber sprach. „Ihre Geschichte ist ganz anders, als ich dachte.“
Sie schob sich ein Stück nach oben, sodass sie ihm ins Gesicht blicken konnte. „Was ist es für eine Geschichte?“
Phillip erzählte ihr alles, was er erfahren hatte. Mit Worten malte er ein Bild der paar Tage im Jahr 1893, wie auch Mrs Gerritsen es getan hatte. Die Fülle an Details hatte ihn überrascht. Zuerst hatte er sich gefragt, ob es nur der klassische Fall einer alten Dame mit einem erstaunlichen Langzeitgedächtnis war. So etwas hatte er zuvor schon erlebt. Menschen, die nicht mehr wussten, was sie zu Mittag gegessen hatten, konnten noch genau sagen, wie das Kleid oder das Jackett ausgesehen hatte, das sie bei einem Tanztee vor sechzig Jahren getragen hatten.
Aber während Mrs Gerritsen geredet hatte, war ihm klar geworden, dass die Details sich für immer in ihr Gedächtnis gebrannt hatten, weil die Geschichte – selbst die Teile, die anderen Menschen widerfahren waren – so tragisch war. Er hatte Veteranen des Zweiten Weltkrieges interviewt, die sich an jeden Schuss erinnert hatten, der vor mehr als zwanzig Jahren auf sie abgefeuert worden war, an jeden Grashalm auf dem Schlachtfeld, an jeden tragischen Moment, den ein Kamerad hatte erleben müssen. Und dieser Fall war ähnlich.
Nachdem er zu Ende erzählt hatte, schwieg Belinda eine Weile. „Warum?“, fragte sie schließlich. „Warum spricht sie mit dir darüber?“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Keine?“
„Ich kann nur vermuten, dass sie versucht, etwas wiedergutzumachen. Wie genau sie das anstellen will, ist mir nochimmer ein Rätsel. Sie hat vor, das Manuskript dafür zu benutzen, wenn es fertig ist.“
„Aber warum du? Warum hat sie ausgerechnet dich gebeten, derjenige zu sein, der ihre Geschichte aufschreibt?“
„Schuldgefühle, denke ich. Ihr Vater hat die Frau und ihre Kinder vor allem wegen Raphaels Wurzeln einfach abgeschnitten und im Sturm in den Tod geschickt,
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