Bis zur letzten Luge
darauf läuft alles hinaus. Vielleicht gefällt Mrs Gerritsen die Ironie, diese Dinge einem Schwarzen zu erzählen. Vielleicht denkt sie, dass damit der Gerechtigkeit irgendwie Genüge getan wird.“
„Und das war alles, was sie dir gesagt hat?“
„Morgen geht es weiter.“ Er drehte sich auf die Seite und strich ihr über das Haar. Er liebte das. Ihr Haar fühlte sich auf ihrem wundervoll geformten Kopf an wie weicher Samt. „Macht es dir nichts aus, dass ich es dir erzählt habe?“
„Ob es mir etwas ausmacht?“ Sie wirkte verblüfft.
Phillip teilte seine Arbeit nur selten mit einer Frau – oder sonst irgendetwas von sich; so selten, dass er sich anschließend erst mal wieder beruhigen musste. Doch in seinem Innern, dort, wo es darauf ankam, fühlte er sich gereinigt.
Er fragte sich, wie es sich anfühlen mochte, hier neben ihr zu liegen, wenn sie alt waren, und mit ihr über den Tag zu reden. „Danke fürs Zuhören“, sagte er.
„Ich höre dir gern zu.“
Und da sie eine Frau war, die niemals log, musste er ihr glauben.
Aurore hatte für die zweite Sitzung mit Phillip die Bibliothek ausgewählt. Es war ein wolkiger Tag, und die Aussicht aus dem Frühstückssalon war trostlos. Sie hatte im Kamin ein Feuer entzünden und die blassgrünen Vorhänge zuziehen lassen, um das deprimierende Dunkel des Tages auszusperren. Der Sekretär im SheratonStil, der in der Ecke stand, war für Phillip vorbereitet worden.
Sie begrüßten einander, als er ankam, und unterhielten sich angenehm, während er das Tonbandgerät aufbaute.
„Ich denke, ich werde lieber dort Platz nehmen“, sagte er und deutete auf den großen Sessel neben der Couch, auf der sie es sich gemütlich gemacht hatte. „Ich brauche nicht unbedingt einen Tisch, um meine Notizen zu machen.“
„Ich habe nichts dagegen.“ Innerlich war sie sogar froh darüber. Es hatte ihr am vergangenen Tag viel Freude bereitet, Phillip aus der Nähe zu beobachten. Seine Miene war stets undurchdringlich; seine Augen aber waren nicht so geschult darin, wie er es sich vielleicht wünschte.
„Ich habe ein paar Fragen zu den Dingen, die Sie mir gestern erzählt haben“, sagte er, nachdem er sich gesetzt hatte.
„Damit habe ich schon gerechnet.“
„Ich will mit dem Offensichtlichen anfangen. Wie haben Sie erfahren, was Ihr Vater getan hat?“
„Es wäre einfacher für mich, wenn ich alles in chronologischer Reihenfolge erzählen könnte.“
„Sie werden also noch dazu kommen?“
„Ich werde alles erzählen. Später. Falls ich zu sehr abschweife … haben Sie Geduld.“
Er lachte.
Sie mochte sein Lachen so sehr! Sie wünschte, er würde es noch einmal tun.
Er blätterte durch seine Notizen. „Warum erzählen Sie mir nicht, was Sie in jener Nacht getan haben? Haben Sie es bis zu Cleberts Haus geschafft?“
„Ja. Wir haben es geschafft, doch meine Mutter erlitt während des Sturms eine Fehlgeburt. Das Cottage bei Krantz, in dem mein Großvater geblieben war, stürzte ein, und grand-père starb. Wir wären auch gestorben, wenn wir geblieben wären.“
„Das tut mir leid.“ Er schrieb etwas auf. Dann sah er sie an. „Soll alles, was Sie bisher berichtet haben, in diesem Manuskripterscheinen? Möchten Sie wirklich, dass Ihr Sohn und Ihr Enkelkind das alles erfahren? Oder waren das bisher nur Hintergrundinformationen? Etwas, das Sie ausgeführt haben, um mir die Atmosphäre nahezubringen, in der Sie aufgewachsen sind?“
„Es soll aufgeschrieben werden. Alles soll in dem Manuskript erscheinen. Sie werden noch verstehen, warum.“
„Also gut.“ Er blickte wieder auf seinen Notizblock, blätterte ein wenig herum und sah sie dann an. „Es ist egal, was ich frage, oder? Sie werden die Geschichte auf Ihre eigene Art und in Ihrem eigenen Tempo erzählen, habe ich recht?“
„Sie kennen mich offenbar schon ziemlich gut.“
„Sollen wir dann zum nächsten Teil kommen?“
Sie wünschte sich, er wäre weniger scharfsinnig und hätte mehr Fragen gestellt – denn so hätte sie den Moment, weitererzählen zu müssen, noch ein bisschen hinauszögern können. Nachdem sie ihm von dem Hurrikan berichtet hatte, war sie in der letzten Nacht nicht zur Ruhe gekommen. Sie hatte Angst, nie wieder gut schlafen zu können.
„Der nächste Teil meiner Geschichte beginnt zwölf Jahre später. Ti’Boo und ich blieben Freundinnen, und ich reiste zum Bayou Lafourche, um bei ihrer Hochzeit dabei zu sein.“ Aurore schloss die Augen. Beinahe konnte sie den
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