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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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wurde die Dunkelheit allmählich erhellt, bis sie in den riesigen Spiegeln Dutzende von Kerzen sehen konnte. Sie klatschte in die Hände, als Étienne im ganzen Raum Kerzen entzündete. Als er fertig war, kam er zu ihr und streckte seine Hand aus. Aurore ließ sich von ihm zu einem Tisch in der Mitte des Salons führen.
    „Mademoiselle Le Danois.“ Er deutete zum Tisch. „Ihr Gastgeber bittet Sie, ihm heute Abend an seinem Tisch Gesellschaft zu leisten.“
    Der Raum war ein großes Achteck, ein märchenhafter Ballsaal mit einer gewölbten Decke, die so hoch wie zwei Decks war. Zwischen den zahlreichen Spiegeln befanden sich wundervoll geformte Statuen aus der griechischen Mythologie. Sie erkannte Apollon und seine Zwillingsschwester Artemis wieder.
    Eine Galerie führte ein Stockwerk über ihnen an der Wand entlang. Hohe Fenster ließen den sanften Schimmer des Mondlichts herein. Der Tisch, den Étienne gewählt hatte, war einer von mehr als zwanzig im Raum und ebenfalls achteckig. Im Gegensatz zu den anderen war ihr Tisch mit feinstem Leinen bedeckt. Darauf stand Porzellan, das mit grazilen Buchstaben verziert war: ineinander verschlungene Ds, das Markenzeichen der Danish Line .
    In der Mitte des Tisches blühten blassgoldene Rosen in Kristall, und Sterlingsilber glänzte neben den Tellern. „Étienne?“
    „Mademoiselle.“ Er zog einen Stuhl hervor. Sie nahm Platz. Bevor sie weitere Fragen stellen konnte, verschwand er im Schatten an einer Seite des Raumes. Sie hatte ein leichtes Essen zu sich genommen, weil sie nicht damit gerechnet hatte, etwas zu essen zu bekommen. Aber jetzt wurde ihr klar, dass sie Hunger hatte.
    Er kehrte mit einer silbernen Platte zurück, hob die Haube an und präsentierte zwei kleine glänzende Entenbraten. Er stellte die Platte auf den Tisch und verschwand wieder. Als er schließlich zum letzten Mal zurückkam, standen auf dem Tisch ein Salat aus buntem Gemüse, das in feine Streifen geschnitten und mit pikanter Soße beträufelt war, ein Gericht mit duftendem AusternDressing, Spinat, der mit hart gekochten Eiern garniert war, und ein Fruchtkompott mit einem eigenen Krug mit Schlagsahne.
    „Wie hast du das alles organisiert?“, fragte sie.
    Er nahm neben ihr Platz. „Frag besser nicht.“
    „Es ist wundervoll! Du bist ein Zauberer.“ Sie breitete die Arme aus. „Und das hier ist wirklich zauberhaft!“
    „Soll ich das Fleisch aufschneiden?“
    „Bitte.“ Aurore beobachtete ihn, während er geschickt die Enten tranchierte. Dann reichte sie ihm ihren Teller, und er servierte ihr das zarte Geflügelfleisch auf einer Scheibe Toastbrot. Zusammen füllten sie die restlichen Speisen auf die Teller; nur selten ließ sie Étienne dabei aus den Augen. Sie aßen, und obwohl sie wusste, dass das Essen von einem talentierten, wenn auch geheimnisvollen Koch zubereitet worden war, schmeckte sie kaum etwas davon.
    Das Kerzenlicht flackerte in Étiennes Augen. Er hatte seinen Hut abgenommen, und sein lockiges Haar fiel ihm auf eine Weise in die Stirn, dass sie es berühren wollte. Sie betrachtete das Spiel von Licht und Schatten auf seinem Gesicht. Sie konnte sich vorstellen, ihn für immer zu betrachten. Bis zu diesem Abend hatte sie es nicht gewagt, sich vorzustellen,mit ihm alt zu werden, sich die Kinder vorzustellen, die sie gemeinsam haben könnten.
    Er lächelte, und sie sah den Besitzanspruch in seinen Augen. Es war nicht der gleichgültige Besitzanspruch ihres Vaters. Dieser Ausdruck war tiefer, inniger. Er deutete auf Geheimnisse hin, auf geflüsterte Worte, ausgetauscht in von Kerzenlicht erhellten Zimmern, auf Küsse, die noch leidenschaftlicher waren als die, die sie bisher erlebt hatten.
    Étienne schob den Stuhl zurück und stand auf, als sie fertig war. „Ist Mademoiselle bereit für einen Tanz?“
    „Kann der Zauberer etwa auch ein Orchester heraufbeschwören?“ Sie erhob sich ebenfalls.
    „Der Zauberer kann zumindest für Musik sorgen.“
    Sie sah zu, wie er wieder in den Schatten verschwand, doch dieses Mal waren ihre Augen besser an das schummrige Licht gewöhnt. Sie konnte sehen, dass er vor einem Tisch am anderen Ende des Raumes stand; dann erklang eine männliche Stimme. Sie klatschte in die Hände. „Ein Grammofon! Étienne, du hast an alles gedacht.“
    Er drehte sich um. „Darf ich bitten?“
    „Ich bin mir nicht sicher, ob Sie für diesen Tanz auf meiner Tanzkarte stehen.“ Sie tat so, als würde sie nachsehen, und hielt dazu eine imaginäre Karte ins

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