Bis zur letzten Luge
hatte demselben Kapitän, der sie zu den Boudreauxs gebracht hatte, einen Brief anvertraut, und sie hatte mit einer Verwandten von Ti’Boo in Napoleonville telefoniert. Sie hatte Ti’Boo gebeten, sich hier mit ihr zu treffen, aber sie hatte keine Antwort bekommen.
Aurore wusste nicht, ob Ti’Boo die Nachricht überhaupt bekommen hatte oder ob man ihr verboten hatte zu kommen. Sie war inzwischen Mutter eines zwei Monate alten Babys, eines gesunden Mädchens, das sie Pelichere genannt hatte. Vom Bayou Lafourche an einen anderen Ort zu reisen war manchmal schwierig, und es war für eine Cajun nicht ungewöhnlich, für immer innerhalb der Grenzen ihres kleinen Dorfes zu bleiben. Doch Ti’Boo war schon einmal auf dem Austernlogger eines Onkels nach New Orleans gekommen, und Aurore hatte sich gewünscht und gebetet, dass sie noch einmal kommen würde.
Sie wandte sich nach links und ging zum Picayune Pier in der Nähe des French Market, wo sie hoffte, Ti’Boo zu treffen. Logger legten hier an und entluden Fisch, Austern und frisches Gemüse von den Bayous und Seen im Süden. Am Tag segelte eine Mischung aus Menschen aller Hautfarben und Rassen mit Booten ein und aus.
In der Abenddämmerung war der Pier nicht mehr so bezaubernd. Die Schatten wirkten bedrohlich; jeder Fremde war ein potenzieller Feind. Sie eilte weiter, bis sie nahe genug war, um die Namen auf den Schiffen und Booten lesen zu können. Zeltplanen aus Segeltuch deckten Fracht ab und versperrten ihr die Sicht. Sie wusste, dass manche Männer auf ihrem Logger lebten; manche hatten kein anderes Zuhause. Sie betrachtete die überfüllten Decks und fragte sich, ob sie Ti’Boo vielleicht um etwas Unmögliches gebeten hatte.
Sie dachte gerade darüber nach, ob sie wieder gehen sollte,als sie sah, wie sich eine kleine Person aus dem Schatten einer der Zeltplanen aus Segeltuch löste. „Ro-Ro!“
Sprachlos schlug Aurore die Hände vor den Mund und beobachtete, wie Ti’Boo sich zwischen der Fracht auf dem Logger ihres Onkels hindurchschlängelte. Dann machte sie einen Satz vom Schiff, der eigentlich längere Beine erfordert hätte, und landete auf den Holzbohlen neben dem Wasser. Im nächsten Moment lagen die beiden Freundinnen sich in den Armen.
„Ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich da bist!“ Aurore umarmte sie noch fester. „Wie hast du das geschafft?“
„Ich konnte dich doch nicht einfach gehen lassen, ohne dich vorher noch einmal zu sehen.“
Aurore vergrub ihr Gesicht in Ti’Boos Haaren. Ihr wurde klar, dass sie ein bisschen vom Mut ihrer Freundin gebrauchen könnte, um in ihrem Leben den nächsten Schritt zu machen.
„Ti’Boo!“
Aurore blickte auf und sah Jules, der an Deck des Loggers stand.
„Hier.“ Ti’Boo winkte ihm zu. „Er wollte mich nicht hierherkommen lassen – jedenfalls nicht ohne ihn. Er will Peli und mich beschützen.“
„Ist er böse deswegen?“
„Böse?“ Ti’Boo lachte. „Ich behandele ihn viel zu gut.“ Jules kam zu ihnen. Sein Haar war grauer geworden, aber er war augenscheinlich ein Mann, der mit den Jahren immer besser aussah. Er begrüßte Aurore und ging dann los, um die Vertäuung des Schiffes zu überprüfen, damit die beiden Frauen sich ungestört unterhalten konnten.
„Wo ist denn das Baby?“, fragte Aurore.
„Sie schläft auf der Pritsche neben meinem tonton.“ Mit einem Kopfnicken deutete sie auf das Boot. „Sie wird bald aufwachen, dann kannst du sie kennenlernen.“
Aurore brannten unzählige Fragen auf den Nägeln, Fragen über die Ehe, die Geburt und was es bedeutete, Mutter zu sein. Sie hatte Ti’Boo nicht erzählt, warum sie New Orleans verließ, denn sie hatte Angst gehabt, hatte das Risiko nicht eingehen wollen, den Grund aufzuschreiben. Jetzt konnte sie das Geheimnis nicht länger für sich behalten. „Ti’Boo, ich werde heiraten!“
Falls ihre Freundin überrascht war, zeigte sie es nicht. „Weiß dein Vater davon?“
Aurore schüttelte den Kopf. „Er würde es nicht akzeptieren. Du kennst den Mann. Es ist Étienne Terrebonne vom Bayou Lafourche. Er ist hierhergekommen, um für meinen Vater zu arbeiten.“
„Étienne.“ Ti’Boos Miene war undurchdringlich. „Warum?“
„Weil ich ihn liebe.“
„Und das ist wichtiger als das, was dein Vater sagen wird?“ „Ich werde nie erfahren, was mein Vater dazu sagt. Wir reisen heute Nacht ab. Wir werden in einem anderen Bundesstaat heiraten.“
„Ro-Ro …“ Ti’Boo schüttelte den Kopf. „Du kannst nicht
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