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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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hatte keine Brüder, also hat der Gustav den Hof übernommen und ist Landwirt geworden, obwohl er damals nicht mal wusste, wie er die Kaninchen ausnehmen sollte, die er schoss, um uns am Leben zu erhalten.«
    Ich rutschte auf meinem Plastikstuhl näher an sie heran. Stelle Nähe her, und die Kunden reden wie die Wörterbücher.
    »Ich konnte Englisch. Ein paar Wörter. Hatte ich in der Schule gelernt. Also, die Amis kamen und haben gesagt: ›Do you speak English?‹ Ich habe genickt, ich war schüchtern, und denken Sie mal, was die Nazis uns über die Amis erzählt haben!« Sie verzog das Gesicht. »Ich hatte Schuldgefühle, mit denen überhaupt zu reden. Du bist nichts, dein Volk ist alles. Das haben sie uns eingeimpft. So schnell habe ich das nicht aus dem Kopf gekriegt. Aber dann hieß es: Wir sagen euch, was ihr mitnehmen dürft, und was ihr dalassen müsst. Interessiert Sie das?«
    Ich blinzelte ihr verschwörerisch zu. »Sahen die gut aus, die amerikanischen Soldaten?«
    Kreuzkamps verständnisloser Blick brannte mir ein Loch zwischen die Schulterblätter. Ich streckte den Rücken.
    »Oh, die sahen fantastisch aus!« Traudl Niebergall zwinkerte zurück. »Junge Kerle mit schicken Uniformen. Sie waren die Sieger, die waren naturgemäß besserer Laune als wir. Klar, wir hatten Angst vor ihnen, aber eigentlich kamen mir die Knaben ziemlich kindisch vor. Die haben sogar unser Wasser desinfiziert. Was haben die sich gedacht – dass wir da vorher reingepinkelt haben?« Sie kicherte. »Jedenfalls durften wir kurze Zeit später wieder ins Haus. Die Amerikaner haben seefeste Kisten zurückgelassen mit Essensrationen: Kekse, Schokolade, Bonbons, Nescafé. Den kannten wir nicht. Der Gustav hat sich die Körnchen auf die Hand gestreut und geschleckt. Beinahe hätte sein Herz das nicht mitgemacht!«
    Ich lachte schallend.
    »Ich sage ja, wir hatten auch eine heitere Zeit«, nickte Traudl belustigt. »So schnell dachte keiner mehr ans Sterben. Meine Mutter war krank, aber ein amerikanischer Arzt hat sie behandelt und bald ging es ihr besser. Keine Bomben mehr. Keine Durchhalteparolen. Und wir konnten endlich wieder an das Nächstliegende denken.«
    »Haben Sie ans Heiraten gedacht?«
    »Woran sonst, meine Schöne.«
    »Und die jüngeren Mädchen?«, fragte ich.
    »Die haben auch nur an das eine gedacht. Ich bin uralt geworden«, Traudl sah an sich herunter, »und ein ziemlicher Brocken. Kräftig war ich immer, aber bei all den Tabletten, die sie einem hier täglich verabreichen … Aber dennoch kann ich sehr genau erkennen, ob ein Mann attraktiv ist oder nicht.« Sie sah mich durchdringend an. Cary Grant neben mir fand das wohl ungebührlich. Er räusperte sich.
    »Aber wie ist Lisa gestorben, Frau Niebergall?«
    »Ich habe keine Ahnung.« Sie schwieg und sah aus dem Fenster. Wieder Regen.
    »Man konnte auch im Krieg nicht so einfach sterben«, warf ich ein. »Landshut ist von Bomben außerdem ziemlich verschont geblieben.«
    »Liebes Kind.« Traudl beugte sich vor. Ich bekam Angst, dass ihre Körpermasse sie vom Stuhl ziehen würde. »Denken Sie mal nach. Damals, im April 45, da haben sich Leute draußen herumgetrieben, die sich in Friedenszeiten nicht mal aus den Kanallöchern gewagt hätten.« Sie schüttelte den Kopf. »Männer von der brutalsten Sorte, dumpf, machtversessen, die ahnten, nun würde noch ein, zwei Wochen ihre Stunde schlagen. Männer, denen Gewalt einfach Spaß machte. Befriedigung verschaffte.«
    »Sie meinen, Lisa ist vergewaltigt und dann ermordet worden?«
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass jemand von uns Alten Ihnen da noch eine Antwort geben kann.«
    Kreuzkamp fand zu den naheliegenden Fragen zurück. »Hatte Lisa Verwandte? Wissen Sie von Geschwistern, Cousins oder Cousinen, Menschen, die heute noch leben könnten?«
    »Ich weiß nicht, soll ich Ihnen dankbar sein, dass Sie mich besuchen, oder soll ich Sie fürchten?«, fragte Traudl mit einem verschmitzten Ausdruck auf ihrem feisten Gesicht. »Eine Erbenermittlerin und ein Mann, der ein Buch schreiben will.«
    »Also keine Verwandten? Irma und Lisa haben sich wie Schwestern gefühlt, oder?«, hakte ich schnell nach.
    »Die Irma hat die Lisa beschützt, wenn es Ärger gab. Wie eine Leibwächterin. In Irmas Herz brennt ein Feuer. Die kann alle Menschen lieben, wenn sie will. Wie eine Schwester oder einen Bruder. Die Irma hat auch keine Angst vor Verantwortung. Und von ihrer Stärke hat sie nichts verloren. Die war schon immer voller

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