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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Kraft. Innerer Kraft. Die Irma kann sich immer neu aufrappeln. Wie Münchhausen sich selbst am Schopf aus dem Morast ziehen. Ich kenne niemanden, niemanden wie Irma.«
    »Wissen Sie von Irmas Krankheit?«
    »Sicher. Wir wissen das alle. Hier spricht sich alles herum. Gerade eine Frau wie die Irma, die hat jahrelang die Knotenpunkte der Stadt besetzt. Über die Irma haben alle geredet. Seit sie nach Amerika gegangen ist mit ihrem ersten Mann. Der ist ja dann gestorben. Sie war gar nicht so lange fort. Aber auch während sie in Amerika war, haben die Leute über sie geredet. Die Irma ist wie ein Motor für die Stadt. Selbst wenn sie nicht da ist. Und wenn sie mal tot ist, tja, dann werden die Landshuter weiter über sie reden.«
    »Könnte Irma eine Ersatzschwester für Lisa gewesen sein? Weil Lisa sonst niemanden hatte?«
    »Also, eine Mutter hatte sie. Der Vater ist im Krieg geblieben, das war in fast jeder zweiten Familie so. Meiner kam auch nicht wieder. In Stalingrad zu Pulver geworden.«
    »Aber sie hatte keine Geschwister?«
    »Ich glaube nicht. In den Ferien war sie bei der Irma. Irmas Mutter war eine sehr gastfreundliche Frau. Eine hübsche obendrein. Die nahm die Lisa an wie ein zweites Kind.«
    Ich holte Atem, um weiterzufragen, als ein Donnerschlag aus heiterem Himmel uns zusammenzucken ließ. Jemand schaltete das Licht an.
    »Nur Donner«, sagte Traudl. »Ihr Angsthasen! Nur Donner. Jedenfalls ist die Lisa vom Reichsarbeitsdienst nicht zurückgekommen. Die Irma kam heim, fiebernd, verdreckt, zerschunden, halb taub nach einem Bombenangriff. Die Lisa nicht.«
    »Wer hat nach Lisa gefragt?«, setzte ich nach. »Außer uns?«
    »Die Julika! Die war von allem, was mit ihrer Oma zu tun hatte, völlig gebannt. Kam aus Amerika und wollte unbedingt bei uns heimisch werden. Dazu gehört doch, dass man über die Vergangenheit Bescheid weiß, nicht wahr? Aber da drüben, über den Atlantik rüber, da haben sie wohl keinen richtigen Bezug zu dem, was mal war.«
    »Wussten Sie das?«, fragte ich Kreuzkamp, als wir das Heim verließen und zum Auto gingen. »Dass Julika hier war?«
    »Nein. Julika hatte einen guten Draht zu den Alten. Deswegen habe ich sie manchmal losgeschickt, einfach nur mit den Herrschaften sprechen. Aber von Traudl Niebergall hat sie kein Wort gesagt.«

32
    Sie vermisst Julika. Beinahe panisch zeichnet Irma alle Telefonnummern auf ihrem Unterarm mit einem schwarzen Edding nach. Sie hat den ganzen Vormittag telefoniert. Alle ihre Freundinnen gefragt, ob sie wissen, wo Julika ist. Sie hat keine genauen Auskünfte bekommen. Irma rotiert. Sie läuft durch die Wohnung, trinkt Wasser aus dem Hahn. Sie muss dringend ihre Haare waschen, doch dabei muss Julika ihr helfen. Niemand anderen lässt sie mehr an sich heran. Wenn Julika sie in den Arm nimmt, wird die Schuld leichter. Diese schreckliche Schuld, dieses dunkle Gebilde aus Angst. Ich habe es nicht gewollt. Wenn ich sterbe, werde ich dafür geradestehen müssen. Doch in Julikas Arm, da kommt es Irma vor, als könnte sie sich verlieren. Aber sie kann ja nicht verloren gehen, solange Julika sie hält, die große, schöne, blonde Julika, die so nordisch aussieht, dass sie damals, in der schlimmen Zeit … daran will Irma nicht denken. Glücklich ist, wer vergisst.
    Irma möchte in eine andere Zeit wechseln. Sie sieht sich gern den Landshuter Hochzeitszug an. Eine ihrer Freundinnen sorgt dafür, dass sie einen Platz auf einer Tribüne in der Altstadt bekommt. Dann denkt sie oft, sie könnte als Edeldame, nein, besser als Marketenderin leben. Sie will zurück, 500 Jahre zurück in die Vergangenheit, im Dunkel der Kostümfalten verschwinden, in einer Zeit, als es noch keine Lisa gab, als sie nicht schuldig war. Eine Zeit ohne Schmerz. Irma atmet schwer. Sie ist nicht mehr jung. Aber das ist ihr egal. Wenn sie es nur wieder gutmachen könnte. Sie liebt Julika so sehr. Dass sie Julika in dieser Intensität vermisst, das ist die Strafe. Die Strafe für die Sache mit Lisa.

33
    »Bist du verrückt? Wie soll ich das machen?« Nero hörte sich ungehalten an.
    »Elisabeth Halbwachs«, wiederholte ich geduldig. »Aus München. Geboren 1927 oder 1926. Um den Dreh. Kannst du mir helfen oder nicht?«
    »Wo fummelst du da rum?«
    »Ich fummle nicht, ich mache meine Arbeit.« Er verstand nicht. Seine Arbeit war in seinen Augen richtige Arbeit. Polizeiarbeit. Meine Arbeit war Spaß und Spannung, Fiktion, nichts Echtes: schreiben.
    »Hast du mir sonst etwas zu sagen?«,

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