Bisduvergisst
organisierten Kriminalität und verdiente sich eine goldene Nase.«
»Mit ›vielleicht‹ kommen wir nicht weiter!« Die Katzenbacherin klatschte in die Hände. »Ich habe mir Alfi Berger heute früh noch mal vorgeknöpft.«
Oje, dachte Leitner, eine echte Mutprobe für den Alfi.
»Ich habe ein paar Namen bekommen. Kumpane der beiden. Nichtsnutze, wie der Hallhuber. Einige vorbestraft, andere wohlbekannt.«
»Gut, Katzenbacherin«, sagte Leitner. »Klapper die ab. Pak, stell mir mal eine Leitung zum LKA her. Mit dem Kollegen Keller.«
44
Die Lehre des Karma besagt, dass die Biografie eines Menschen seine Leiden und seine Not determiniert. Ich persönlich hing dieser Theorie nicht an. Aber ich hatte ein wenig darüber gelesen, im Zusammenhang mit der Buddha-Diät. Weil das Primatenhirn komplex gestrickt war, raste mir der Gedanke an das Karma als Erstes durch die Synapsen, als ich zu mir zurückfand. Der Morgen dämmerte schon, kein Wunder, wir hatten ja Sommer, Anfang Juli, da wurde es gar nicht richtig dunkel.
Ich wollte mich auf den Rücken wälzen. Würgte, spuckte. Mein Mund war trocken wie Pergament. Es gelang mir, das Taschentuch auszuspucken. Mein Rücken schmerzte brutal. Ich versuchte mich aufzurichten, aber das ging nicht. Meine Hände waren fest mit meinen Fußknöcheln verschnürt. Ich lag da wie ein Embryo. Bewegungsunfähig. Die letzten Tage im Bauch der Mutter. Bevor du ausgestoßen wirst, um ein für alle Mal mit dir selbst zurechtzukommen. Mit deinem Kummer und den beschissenen Fehlern, die du nie wieder gutmachen kannst. Mit dieser ganzen verdammten Sehnsucht nach Liebe, die du nie bekommen wirst. Dein ganzes Leben nicht. Alle Befriedigungen sind nur Trostpflästerchen. Alibis. Bonbons, um dich bei Laune zu halten, bis alles zu Ende ist.
Meine Jeans hing auf Halbmast. Ich keuchte. Durst. Zuallererst hatte ich Durst. Die schlimmste Panik, die mich sofort überfiel und mir den Schweiß über den Körper trieb, war diese: Ich verdurste. Ich stellte keine Fragen. Nicht wer, warum, warum ich. Da war nur Angst.
Große Gefahren waren eine Chance, wieder auf die alten Instinkte unserer Ahnen und nahen Artverwandten zurückzugreifen. Auszuprobieren, wohin es einen führte, wenn man sich nicht auf den Verstand verließ, sondern den Eingebungen aus den ältesten Teilen unseres Hirns lauschte. Die hatten ihre Bewährungsprobe längst bestanden, was von den entwicklungsgeschichtlich jüngeren Komponenten nicht behauptet werden konnte.
Stunden, in denen das Licht klarer, transparenter wurde, trieben vorüber. Wo die Nacht an den Tag stößt, so hatte ich gelesen, kann der Mensch die Ewigkeit fühlen. Deshalb stehen sie in den Klöstern so früh zum Morgengebet auf. Weil ein Geheimnis in der Luft liegt. Ein Geheimnis, wenn das Leben neu erwacht. Weil unser ganzes Dasein ein Rhythmus ist. Eine Musik, vielleicht. Oder weil die Finsternis und das Licht nur zwei Seiten derselben Sache sind. Und wir im Morgengrauen merken, dass auch Leben und Tod nichts anderes sind als zwei Seiten derselben Sache.
Hoffnung. Ich lag Stunden, bis die Sonne durch die Fenster strahlte und ich endlich, endlich die Versuche aufgegeben hatte, zu meinem Telefon zu robben, um es irgendwie zu bedienen. Ich lebte allein, und ich tat es aus Überzeugung. Deswegen würde ich auch aus Überzeugung sterben. Zuerst würden meine Nieren versagen. Aus Flüssigkeitsmangel. Wie es dann weiterging, wusste ich nicht. Nur, dass ich irgendwann zu stinken anfangen würde. Niemand würde sich darüber beschweren, denn niemand würde es riechen. Dumm nur, dass auch meine beiden Gänse nicht allzu lang durchhalten würden, eingesperrt in ihrem Stall.
Ich döste ein, bis Motorengeräusch mich aus dem Halbschlaf riss. Es klingelte. Und ich schrie aus Leibeskräften.
Zehn Minuten später hatte die Paketbotin den Ersatzhausschlüssel aus meinem Schuppen geholt und schlitzte die Kabelbinder mit einem Schweizer Taschenmesser auf. Ich kannte sie nicht, aber sie erschien mir wie eine Lichtgestalt aus der anderen Welt.
»Sie sind neu hier?«, keuchte ich, während ich versuchte, meine schmerzenden Glieder auszustrecken. Mein Hals tat weh, so ausgetrocknet war ich.
Sie goss Wasser in ein Bierglas und hielt es mir hin. »Chrissie Brehm.«
Ich schüttete das Wasser in mich hinein. Sie schenkte sofort nach. Nachdem ich anderthalb Liter getrunken hatte, warf mein Körper seine wichtigsten Funktionen wieder an. Wie ein Außenborder, der nach etlichen
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