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Bisduvergisst

Bisduvergisst

Titel: Bisduvergisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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dieser Landshuter Sache drin?«
    »Sache?«
    Er schüttelte mich. Schüttelte die Tränen aus mir heraus. Mir fiel auch gerade kein Witz ein, mit dem ich die Situation hätte retten können.
    »Der wollte mich vergewaltigen, aber er hat’s nicht gemacht«, sagte ich später. »Ein Sexverbrechen, geplant an einer Frau, die in einer entlegenen Ecke lebt. Schutzlos, wenn du so willst.«
    Nero hielt mich im Arm, aber nicht wie Chrissie Brehm. Nicht warm und ohne Erwartung, sondern eilig, hektisch, drängend, abwartend.
    Ich liebe Nero, ich liebe nicht Chrissie Brehm, dachte ich, aber natürlich hatte das alles keine Bedeutung. Gefühl ist machtvoller als Verstand, pflegte Juliane zu sagen.
    Dann ging Nero mit dem Versprechen, bald wiederzukommen. Aber ich würde nicht da sein. Na gut, vielleicht neigte ich zu Eifersucht, Skepsis, Überheblichkeit, Arroganz. Vielleicht verfing ich mich mitunter in meiner eigenen Traurigkeit. Aber ich würde der Versuchung widerstehen, andere hineinzuziehen.
    Ich packte meine Geistersachen zusammen, duschte, zog frische Klamotten an und schlüpfte in meine Regenjacke. Draußen befreite ich endlich meine beiden Grauen aus ihrem Stall. Sie würden eine Weile zurechtkommen. Ich stieg ins Auto und ließ den Motor an. Ein Gefühl von Freiheit. Ein Auto, ein Motor. Und endlich die dummen Träume von der Liebe abgelegt.

46
    Er richtet eine Lampe auf uns. Geblendet schließe ich die Augen. Du schluchzt, Lisa. Hör auf. Das Licht fällt auf unsere dreckigen RAD-Uniformen. Auf den schmutzstarrenden Verband an meinem Arm.
    »Bist du nicht die Maid vom Michelbacher?«, fragt der Mann. Ich kenne ihn. Er hat letztes Jahr, während der Heuernte, beim Michelbacher geholfen.
    »Ja«, sage ich leise. Meine Zunge klebt am Gaumen.
    »Wo kommt ihr denn her?«, fragt der Mann. Er ist vom Volkssturm. Vom letzten Aufgebot. Ein Gewehr, Munition, eine Handgranate zur Verteidigung des Vaterlandes. »Ihr müsst sofort weg. Wir haben schon Panzeralarm. Die Amerikaner kommen, es ist vorbei.«
    Ich höre dich aufkeuchen, Lisa, aber ich bin nur erleichtert. Schade um dich, Soldat in der Rotbuche. Hättest dir eben ein besseres Versteck suchen müssen.
    »Ihr müsst sofort weg«, wiederholt der Mann, und nun fällt mir sein Name ein. Karl, schlicht und einfach. Ein Muskelprotz, der hat für zwei gearbeitet auf dem Michelbacher Hof. War seit einem Jahr nicht im Feld, weil sie ihm in Russland das Knie zerschossen haben. »Los, auf geht’s, lauft, holt eure Zivilkleidung und dann nichts wie weg mit euch! Nach Hause, am besten geht ihr nach Hause!«
    Da hätten wir längst sein können.
    Ohne ein Wort zu verlieren, taste ich hinter mich, finde deine Hand, Lisa, und ich ziehe dich mit, an Karl vorbei, nur weiter, weiter über den finsteren Weg, den wir, geblendet von der Lampe, nicht einmal mehr ahnen.
    »Beeilt euch!«, ruft er uns nach, und wir rennen, du beschleunigst, schiebst mich beiseite, rennst voraus, ich hinterher, wir rennen, bis wir die Baracken sehen, die sich in die Schatten ducken. Ich muss husten, weil mein Hals so trocken ist. Stürze zum Brunnen im Hof und trinke, trinke.
    Es ist niemand mehr da. Die Mädchen sind alle weg.
    Du läufst durch die Baracken, ich komme nach, schüttele den Kopf hin und her, um das Brummen aus meinen Ohren zu kriegen.
    Dann taucht eine von den Maidenunterführerinnen in der Tür auf. Steht groß und breit da, mit dem üppigen Busen, der mich vermuten lässt, dass sie ein paar Essensrationen extra für sich abzweigt.
    »Was tut ihr denn noch hier?«, fragt sie. »Ja so was!«
    Dienstpost, höre ich dich reden. Ich möchte lachen. Lachen bis zum Umfallen. Haben die Damen uns nicht höchstpersönlich losgeschickt? Dienstpost, München, die Bomben, der einäugige Soldat, die Frau Doktor, der Zug mit den verschmierten Scheiben, der Soldat in der Rotbuche, alles spielt sich vor mir ab wie ein Film. Wir haben gehorcht, den Auftrag ausgeführt, die Post ausgeliefert, die niemals mehr jemand lesen wird, die ohnehin nur dummes Zeug enthält, was soll man in diesen Tagen schon schreiben. Dass es zu Ende geht, das pfeifen die Vögel von den Zweigen, und eben hat es sogar der Karl gesagt, der Erntehelfer vom Michelbacher.
    Das kalte Brunnenwasser randaliert in meinem Magen. Kurz wird mir schwarz vor Augen, aber das wäre ja noch schöner, jetzt zusammenzubrechen.
    »Ihr müsst sofort weg!«
    »Wir müssen schlafen!«, sagst du. Es ist das erste Mal, dass ich dich widersprechen

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