Bisduvergisst
seufzte.
»Still!«, herrschte mich Kreuzkamp an.
»Was ist denn?«
»Da kommt jemand.«
Nun saßen wir erst recht in der Falle. Neben einer Leiche in einem Keller stehend, ohne Rückzug nach draußen.
»Machen Sie das Kellerfenster auf!«, flüsterte ich. »Los! Sie haben doch ein Händchen!«
Kreuzkamp starrte auf den Toten. »Ich kann nicht … ich würde auf ihn treten.«
Ich spürte einen Luftzug.
»Jemand kommt in den Keller«, keuchte ich. »Sie haben 52 Stufen lang Zeit!«
Kreuzkamp drückte sich an der Leiche vorbei und reckte die Arme. Er reichte kaum an das Fenster. Ich drehte mich um und tappte in die Dunkelheit der Kellerabteile. Letzte Chance, letzte Hoffnung. Die verbleibenden Minuten meines Lebens brachte ich damit zu, einen Ausgang ins Freie zu finden.
Das Glück war auf meiner Seite. Ich fand eine Tür. In der Dunkelheit sah ich den Lichtstreif, der sich an der Unterkante in den Keller stahl. Drückte sanft dagegen. Hörte Schritte, irgendwo im Irrgarten des Kellers.
Ich rüttelte an der Klinke. Verschlossen. Wagte nicht, die Taschenlampe anzuschalten. Tastete über die Tür. Der Schlüssel steckte von innen. Ich sollte Kreuzkamp rufen, dass wir gerettet waren. Aber dann hörte ich einen erstickten Schrei. Cary Grant in einer seiner grandiosen Heldenrollen. Ich drehte den Schlüssel. Ging wie geschmiert. Drückte die Klinke, warf mich gegen die Tür und fiel beinahe ins Freie. Ich stand in einem versifften Kelleraufgang, voll mit dem Herbstlaub von Jahren, Vogelfedern, Müll. Ich rannte die Stufen hinauf. Wollte um das Haus herum, zu meinem Wagen. Hörte den Schuss. Eine Fensterscheibe barst. Das Kellerfenster des Abteils, wo der Tote lag! Ich sah mich um, während ich schon auf die Bäume am Hang hinter dem Haus zurannte. Nur laufen, laufen! Eine Kugel kam mir nach und traf meine Schultertasche. Die Tasche geriet ins Schleudern, wirbelte um meinen Körper. Ich griff danach, stand hinter dem ersten Stamm. Lief weiter, die Tasche an mich geklammert. Hörte meinen Atem, mein Keuchen. Fühlte nichts, keine Angst, kein Entsetzen. Auch keine Verantwortung für Kreuzkamp. Ich konnte nichts für ihn tun.
60
Leitner fuhr über die Landstraße. Die Autobahn mochte er nicht. Er rauchte unablässig, warf eine Kippe aus dem Fenster seines Pick-ups und zündete sofort die nächste an. Auf der kurzen Strecke über die schmale Landstraße an der Isar brachte er es auf zehn Zigaretten.
Yoo Lim saß zwischen Leitner und Nero. Nero blickte angestrengt aus dem Fenster. Er wollte keine Konversation. Die Stimmung war angespannt, ohne dass er genau verstand, warum.
Sie hatte eine Frau auf den Mund geküsst. Bedeutete das, dass sie lesbisch war? Und was zum Teufel ging ihn das an? Andererseits – wenn er sich nicht komplett täuschte, hatte sie ihm nicht schöne Augen gemacht? Geradezu mit ihm geflirtet? Oder hatte er, Nero, sich in etwas verrannt, weil er zu lange von Kea getrennt war? Auch innerlich? Hatte er angefangen, sich eine Beziehung zu einer anderen Frau zu erträumen, weil er vermutete, dass Kea eine Affäre mit dem Cary-Grant-Heini hatte? Und wenn das gar nicht zutraf? Wenn ihr Interesse tatsächlich, wie sie behauptete, Kreuzkamps Projekt galt? Warum hatte er sie nicht nach ihrer Meinung zu dem Mord gefragt? Nicht nach ihrem neuen Projekt, nicht nach dem Buch, das dieser Journalist schrieb? Falscher Stolz, dachte Nero zerknirscht. Ich habe gelitten und aus falschem Stolz gehandelt. Und dabei ist alles den Bach runtergegangen.
»Hier muss es sein«, sagte Leitner und lenkte den Pick-up über eine verhutzelte Holzbrücke auf ein verwahrlostes Grundstück im Wald. »Die Natur holt sich zurück, was ihr gehört. Dass der Hallhuber eine Zukunft als Landschaftspfleger hat, kann ja keiner glauben!«
»Was für eine Bruchbude«, sagte Yoo Lim und rümpfte die Nase. »Wer kauft so eine Absteige! Noch dazu in direkter Nachbarschaft zu …«, sie wies vielsagend auf die Kühltürme des Kraftwerkes.
»Jemand, der seine Ruhe will«, kommentierte Leitner und schwang sich aus dem Wagen. »Wem gehört denn der Alfa hier?«
Nero hatte Keas Auto längst gesehen.
»Ich glaube«, begann er, kam aber nicht weiter. Ein Schuss gellte durch den Wald.
»Verdammt!« Leitner hielt seine Dienstwaffe schon in der Faust. »Deckung!«
»Kea!«, schrie Nero und rannte, seine Heckler & Koch im Anschlag, auf das Haus zu.
»Keller, haben Sie sie nicht mehr alle?«, brüllte Leitner ihm hinterher.
Nero kauerte sich
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