Bisduvergisst
schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie’s. Ich will mich nicht umbringen.«
»Meine Güte, so hoch ist das auch wieder nicht.«
»Ich habe eine künstliche Hüfte.«
Kreuzkamp starrte mich an wie ein Mondkalb.
»Ja, verdammt.« Angriffslustig stützte ich die Hände in die Seiten. »Normalerweise ist das was für 60 plus. Mich hat es halt früher erwischt. Berufsunfall. In Ausübung meiner journalistischen Tätigkeit und so weiter.« Das stimmte nicht ganz. Der Bombenanschlag auf dem Sinai war passiert, als ich dort privat unterwegs war. Ein kurzer Urlaub zwischen Auftragsreisen. Aber für Kreuzkamp genügte diese Version. Ich wandte mich um und stieg die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Die Stufen endeten in einem düsteren Flur, von dem mehrere Türen weggingen. Alle waren mit neuen Schlössern versehen. Hier sicherte jemand sehr sorgfältig sein Territorium. Sachte fuhr ich mit dem Finger über die Türklinken. Nur eine gab nach. Sofort.
»He, Kollege«, rief ich halblaut durchs Treppenhaus. »Sehr ordentlich haben Sie aber nicht recherchiert!«
Kreuzkamp polterte die Treppe hinunter. »Sie sind verrückt. Lassen Sie uns abhauen!«
»Warum sind Sie so ein Schisshase?«, fragte ich und grinste. »Hier geht’s in den Keller. Lust auf eine Expedition?« Ich zückte die kleine Halogen-Taschenlampe, die an meinem Schlüsselbund baumelte, und beleuchtete die Kellertreppe.
»Was soll das bringen?«
»Einen Weg nach draußen.«
»Verdammt, ich trage Sie zur Not huckepack.«
»Ich komme drauf zurück.«
Die Treppe war lang und steil. Ich zählte die Stufen. 52. »Was haben die hier früher wohl gelagert?«, fragte ich leise.
»Vorräte. Als Eldorado für die Mäuse.«
Ich drehte den uralten Lichtschalter am unteren Ende, doch alles blieb dunkel. Meinte, das leise Trippeln vieler hundert Mäusefüßchen zu hören.
»Hier ist nicht mehr viel zu wollen«, meckerte Kreuzkamp. »Ich muss ans Tageslicht.«
»Ich schlage vor, Sie gehen an die liebe Sonne und telefonieren mit Ihrem Katasterfreund.«
»Ich kann Sie doch nicht allein lassen.«
»Sie sind mir einer.«
Ich durchwanderte den Keller, Kreuzkamp im Schlepptau. Das ganze Haus musste unterkellert sein, doch anders als der Dachboden war der Raum in viele winzige Abteile eingeteilt, teils durch Mauerabschnitte, teils durch Bretterwände voneinander getrennt. Es roch nach Moder, Kohlen, und nach etwas Dumpfem.
Ich kannte diesen Geruch. Er war mir so vertraut, dass mein Körper reagierte, ehe ich den Gedanken zugelassen hatte. Angst und Tod.
»Hier stimmt was nicht.«
»Was murmeln Sie da in Ihren Bart?« Kreuzkamp stieß gegen meinen Rücken.
Der Tod zog mich an. Einmal war ich ihm so nahe gewesen, hatte im Tunnel festgesteckt. Hatte einen kalten Arm auf meiner Schulter gespürt. Alles Bilder. Nur Bilder. Aber Menschen lebten in Bildern. Wer den Tod geküsst hatte wie ich, behielt seinen Geruch ein Leben lang im Gedächtnis.
Die Leiche lag in der Ecke eines mikroskopisch kleinen Abteils des Kellers, direkt unter einem vom Schmutz der Jahrzehnte völlig blinden Fensterchen. Hinter mir schrie Kreuzkamp auf. Sein Grauen stülpte sich über mich. Ich begann zu zittern, tappte aber näher, leuchtete dem Mann ins Gesicht. Seine Augen waren weit aus den Höhlen getreten, die Gesichtsfarbe nicht zu definieren. Dünnes langes Haar verbarg nur unzureichend den entsetzten Ausdruck seiner Züge.
»Ein Hochzeiter«, kam es von Kreuzkamp.
»Was?«, keuchte ich und drehte mich zu ihm um.
»Ein Mann, der sich die Haare hat wachsen lassen. Für die Landshuter Hochzeit. Bei Männern müssen die Haare mindestens die Ohren bedecken.«
58
»Was für ein Forsthaus soll das sein?«, fragte Nero.
»Das finde ich raus. Ich frage die Mutter einer Freundin.« Leitner ärgerte sich nicht einmal, als er rot wurde. Immerhin war Elkes Mutter die ergiebigste Informationsquelle der Stadt. Warum sollte er ihr nicht den Bauch pinseln? Aus falsch verstandener Loyalität Elke gegenüber?
Fünf Minuten später wusste er, was er wissen musste.
»Das Haus liegt einsam an der Straße zwischen Niederaichbach und Landshut. In unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerkes. Irma und ihre Tochter waren die letzten, die dort unterkrochen. Wenige Jahre später starb Thomas Hopfinger, dem das Haus damals gehörte, und das Gebäude verfiel. Der Wald ist dabei, es sich zurückzuholen.«
»Wer ist denn der Eigentümer?«
»Das Haus fiel an den Staat. Opfinger hatte keine Erben. Aber vielleicht hat
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