Bismarck 01
tollen Bismarck recht weit zu kolportieren.
Der Alleingebliebene sah trübe in die Nacht hinaus. Abends befiel ihn stets eine Aufregung, wenn er einsam für sich blieb, als drängen von allen Seiten erdrückende Gedankenmassen auf ihn ein, seltsame, düstere Ahnungen ungewisser Zukunft. Eine ungeheure Einsamkeit schien sein Inneres zu umlauern, als ob ihn niemand verstehen könne und er sich selber nicht. Wenn seine Johanna nun von den Sumpffiebern ihrer Gegend erkrankt wäre, wenn der Tod sie ihm nähme, dann wäre er so einsam wie noch nie in seinem einsamen Leben. Willig dem Weltschmerz untertan, der damals noch seit Byrons Tode in ganz Europa umging, hatte er in seinem wüsten Wandel der Kniephofer Zeit oft Byrons Vers gemurmelt: The heart, the heart is lonely still. Er hatte niemand, dem er sich anvertrauen konnte, seine glücklich verheiratete Schwester schied aus seinem näheren Dasein. Er blickte zu dem verblaßten Ahnenbild jenes burschikosen Vorfahren auf, dem er leiblich so glich, und lächelte bitter. Mit dem Degen in der Rechten und dem Humpen in der Linken durchs Leben trotten, das taugte für jenes robustere Geschlecht. Doch der Burschikosus Otto in Göttingen und der wilde Junker vom Kniephof wußten beide, daß Fechten und Saufen nicht ein menschenwürdiges Dasein ausfüllen. Und das Tagewert der Landwirtschaft, dem er sich gewidmet, um einen Lebenszweck zu haben, konnte unmöglich für immer befriedigen. Das mochte gut für all die anderen Standesherren sein, die gelegentlich auch für Weib, Wein, weniger Gesang, schwärmten und dabei doch Narren blieben ihr Leben lang. Den alten Luther in Ehren, aber das Schwärmen für Weiber macht doch erst recht zum Narren. Davon wußte der stürmischeSchönhauser Riese ein Lied. Mais que faire! Lang und öde dehnte sich die Zukunft vor ihm aus, man wurde recht alt in seiner Familie, sollte das stets so weitergehen? Den Staatsdienst hatte er sich abgeschnitten, jetzt war's zu spät, als älterer Mann nochmals dort anzuklopfen, und alles, was Examina hieß, brachte ihm das Frieseln auf die Haut. Sein Leben lang hier verbauern? Vierzig Meilen in der Runde kein sterblicher Mensch, mit dem man versucht wäre sich auszuplaudern. Man schwatzt so hin über Tagesgeschäfte, was gerade die Höflichkeit verlangt, sonst jede Seele so wolkenfern, als hätte man sie nie gekannt. In diesen öden, kahlen Räumen ist nicht schön hausen, nur Johannas liebendes und geliebtes Herz kann sie erwärmen. Wenn nur sie mir bleibt! Politics, all nonsense, love is every thing. Aber wenn das Geliebte stirbt, ist der Überlebende der ewige Sterbende. Ich bin eine alte Eiche, Nanne ist zart. So lebt man in Schmerz und Furcht dahin, es gibt keine ärgeren Egoisten als Schmerz und Furcht, die sich immer nur in sich selber einbohren. – Na, Gott sei Dank! Der geliebte Brief kam nun. Chére et bonne , geliebteste Geliebte! Und die Eifersucht auf Freundinnen, Hunde, Bücher, Blumen, Vögel, die meine Süße von ihrem Otto ablenken könnten, ist auch nur krankhafte Empfindlichkeit. Der liebe Schwiegerpapa ist auch geneigt, die Heirat zu beschleunigen, »als Trauung ohne alles Aufsehen«, weil Frau v. Puttkamer immer noch leidend. Jetzt geht's wieder an die Deicharbeit, Inspektionsreise.
Um Mitternacht in Genthin schlug die erste Nachtigall, und der gestrenge Herr Deichhauptmann hätte beinahe Verse gemacht, wovor er sich aber trotz seiner Leidenschaft für Poesie geschmackvoll hütete. Sonst hätte er ein Gedicht verzapft »Auf Johanna und Brunette«, ihr Reitpferd, das sich störrig zeigte und ihm angst machte, das er aber, weil die Stute auch weiblichen Geschlechts, ritterlich entschuldigte, es sei nicht bös gemeint gewesen. Lieblich und traulich, offen Herz zu Herz, in der Sofaecke mit Nanne plauschen, davon sang die Nachtigall. Und außen stand er wieder in Wind und Wetter auf dem Deich mit Schulzen und Baubeamten. Nur Geduld, es dauert nicht lange mehr. Juanita better half of myself!
Aber alle Welt dachte nicht an Herzenssachen und redete von noch Stürmischerem als Deichen der Elbe, bei deren brausenden Frühlingslaunen der stramme Wachtposten Bismarck doch singen konnte: Steh' ich in finstrer Mitternacht, so denk' ich an mein fernes Lieb! Nein, nur der neue Landtag stand auf der Tagesordnung, weil er auf jede Tagesordnung neue Anklagen der starken Opposition setzte und sich von Tag zu Tag verbitterter zeigte.
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»Die Woche fing ja gut an, sagte der Räuber, als er am Montag gehängt
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