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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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mit zunehmender Schärfe auch gegen den grundbesitzenden Adel zu, die verhaßte Klasse der »Junker«. Viele der letzteren, ursprünglich ziemlich indifferent, fühlten sich daher in ihren Standesvorrechten und materiellen Interessen bedroht. Ihrer Aufstachelung bedurfte es aber nicht, um die stark ausgebildete Agrarierselbstsucht des jungen Gutsbesitzers zu wecken, der plötzlich sich ganz auf die äußerste Rechte schlug, früher bekundeten Ansichten zuwider.
    »Na na. Sie sind plus royaliste que le roi «, beschwichtigte ein älterer Edelmann. »Man nich so hitzig!«
    »Sie werden sehen, wie bald uns das Feuer auf den Nägeln brennt, und da wird Ihnen wohl heiß werden«, fuhr der grollende Schönhauser auf. »Diese Leute wollen langsam Stein für Stein die alte Ständeordnung niederreißen. Und wo bleiben dann wir? Mein Freund Moritz Blanckenburg schrieb mir sehr aufgeregt, die Teilnahmlosigkeit der Berliner Freunde bezüglich der drohenden politischen Spannung habe ihn sehr angegriffen. Ja, viele unter uns merken nicht, daß wir auf Moorboden wandeln, der leicht plötzlich einsinken kann.«
    »Na, so schlimm wird's wohl nicht sein!« lenkte ein anderer, Herr v. Gadow, ein. »Darf ich mich nach dem Befinden Ihrer Damen erkundigen? Ihr Fräulein Braut –«
    »Danke recht sehr, befindet sich wohl und klagt über zu kurze Briefe, weil ich von Politik voll zum Überfließen. Meine Schwester Arnim ängstigt sich in Angermünde, in Abwesenheit meines Schwagers blieb ich dort, doch der erwartete Aufstand machte sich nur in Zetergeschrei alter Weiber Luft. Aber in Köslin, wo ich neulich auf dem Wege nach meinem Kniephof durchfuhr, gab es wirklich so was, wie Aufruhr, alle Straßen von Menschenmassen gesperrt, so daß wir nur mit Mühe durchpassierten, von Landwehrmannschaften gedeckt. Wir, d. h. drei Offiziere und ein schnippisches Berliner Bürgerfräulein, die unhöflich gegen uns wurde. Überall der gleiche Geist. In Köslin sind Bäcker- und Schlächterläden geplündert, drei Kornhändlerhäuser ruiniert, auch der Brotaufstand in Stettin war garstig, man hat scharf geschossen. Das Einberufen der Landwehr halte ich übrigens für verfehlt, meine Herren, die ist von üblem Geist erfüllt und würde gern mit allen Lärmschlagern gemeinsame Sache machen.«
    »O, Sie sehen immer zu schwarz. Übrigens handelt sich's dabeidoch nicht um Politisches, das ist die reine Magenfrage«, warf Prinz Solms hin.
    »Das ist die schlimmste; politische Revolution ist oft nur ein Vorwand für die ... ja, ich weiß nicht, wie man das nennen soll, sagen wir mal: die soziale Frage. Die hat sicher mehr Berechtigung, als das Geheul nach Verfassung und ähnlichen Papierfetzen, die niemand satt machen. Das Volk will essen, Not kennt kein Gebot.«
    Er schwieg düster und beklommen. Neulich hatte er Kniephof zum letzten Male besucht, da er es verpachtet hatte, um mehr Geld herauszuschlagen. Da warfen die Tagelöhner ihm weinend vor, wie lange sie schon seinem Vater gedient und wie sie jetzt ohne seinen Schutz, der ein guter Herr war, vom habsüchtigen Pächter ausgebeutet wurden. Unvorsichtige, verschwenderische Nachlässigkeit ... o, wir Junker taugen ja auch nichts, aber sind die bürgerlichen Krämer etwa besser? Bei Gott, ich werd' mich von jetzt ab wieder getreulich »von« schreiben, bloß um das Pack zu ärgern mit seinen ewigen Sticheleien auf die Herren von und zu. Wir wollen auch leben, und wer mir meine adligen Rechte stehlen will, den faß ich an der Gurgel. – Widerwille vor liberalem Philistertum förderte in ihm eine Mauserung, als habe er von Grund aus die Haut gewechselt. Alles Tiefe und Hohe seines Wesens schien untergegangen in zäher, hartknochiger, märkischer Prosa.
    *

Der Skandal im Landtag ging weiter. Der Abgeordnete Bismarck, auffallend durch blondhaarige, blondbärtige Reckengestalt und furchtlose blaue Augen, stand finster beiseite und sagte kein Wort. Auch wenn er mit Loyalgesinnten, d. h. den wenigen, die in jeder ordentlichen Verfassung den Gottseibeiuns sahen, zum zweiten Frühstück ging oder einen Vesperschoppen riskierte, öffnete er selten den Mund. Die Falte über der Nasenwurzel grub sich immer tiefer. Doch ging, je weiter die Verhandlungen vorrückten, mit ihm eine Veränderung vor, er rückte immer weiter nach rechts ab, und zwar widerten ihn am meisten die Reden seiner ostpreußischen Standesgenossen an. Auch Vinckes maßlose Heftigkeit empörte ihn. Die »Trés-chére Jeanneton«, »Jeanne la sage«

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