Bismarck 01
unterbrach ihn und hinderte sein Weiterreden. Übrigens hatte er sich nicht ganz deutlich ausgedrückt und nicht der eigenen Parteilegende Rechnung getragen, wonach die Preußen sich eben nicht selbst befreiten, sondern auf Ruf des Königs und unter Führung der Junker. Denn daß jemand, der von einem anderen so lange geprügelt wird, bis er sich wehrt, sich daraus kein Verdienst gegen einen Dritten – den König – machen könne, dieser Satz klang sehr verfänglich, als ob der gute König nur ein dritter Unbeteiligter gewesen sei. Unter allgemeinem Hallo der Opposition runzelten also auch Konservative mißfällig die Stirn. Doch der mutige Redner, dem man in lauten Zurufen auch jugendliche Unreife vorwarf, blieb gelassen auf der Tribüne, zog ein Zeitungsblatt hervor und las es mit der gemütlichsten Gleichgültigkeit durch, bis der Lärm sich legte und die Glocke des Präsidenten Rochow durchdrang. –
»Von deinen oratorischen Triumphen ist ja die Welt voll«, neckte ihn die Schwester, Frau v. Arnim, zu der er am zweiten Pfingstfeiertag nach Angermünde fuhr. Doch sie fragte besorgt: »Aber wie siehst du denn aus? Ganz gallsüchtig.«
»Ich ärgere mich vom Morgen bis zum Abend. Der gute Thadden träumt jede Nacht vom Landtag – vermutlich, daß die Decke zusammenstürze – und läßt bei Tage sein Essen im Stich. So geht's mir auch.«
»Nun, mon cher , Sie sagen der Crapule doch wenigstens Ihre Meinung und behalten Ihre Galle nicht bei sich«, tröstete ein Herr v. Derenthal.
»Glauben Sie? Prost Mahlzeit! Die Tribüne ist wie eine Ballschönheit immer voraus engagiert, und uns gönnt man keine Extratour. Sechs Stunden windet man sich in Krämpfen über all den Schwatz, den man anhören muß, und wenn man sich zum Worte meldet, sind schon zwanzig andere an der Reihe. Und ihrWischiwaschi ermüdet die Versammlung so, daß man eiligst Schluß und Abstimmung verlangt. Dann stimmt natürlich die Opposition geschlossen, wie voraus berechnet, auf die gediegendsten Gegengründe geht sie gar nicht ein. Sie hat ja die Majorität. Das nennt sich Parlamentarismus.«
»Übertreibst du nicht ein wenig?« fragte die Schwester.
»Nicht die Spur, alle sind sie unredlich, böswillig, eigensinnig, dazu noch lügnerisch und verleumderisch, die richtigen rheinischen Weinreisenden, die den Kunden beschwatzen und eine gefälschte Marke teuer an den Mann bringen. Presse und Publikum schlucken das mit banalen Etiketten aufgeputzte Gesöff hinunter und schmatzen vor Vergnügen.«
»Die Menge war ja immer gedankenlos und oberflächlich«, meinte Malwine, die auch nicht gerade an Gedankenüberfluß litt. »Was sagt denn dein künftiger Schwiegerpapa?«
»Der nimmt alles leicht und lächelt über mich Jugendgreis. Ich habe Nanne geschrieben, sie dürfe nicht dulden, daß er nur einen Tag länger in Reinfeld bleibt, er muß sofort zurück auf seinen Posten. Wir brauchen in Berlin alle Mann auf Deck. Ich schlug ihm übrigens vor, mit ihm nach Reinfeld zu kommen, damit wir uns kurzerhand dort aufbieten und trauen lassen könnten, worauf Nanne mit mir in Berlin Quartier beziehen solle. Das schien ihm unziemlich.«
»Mir auch. Wolle doch nicht immer mit dem Schädel durch die Wand! Deine Sehnsucht wird sich Wohl noch gedulden können.«
»Das sagst du so. Könnt' ich doch mit ihr in ein Jägerhaus ziehen im höchsten, grünen Bergwald, und kein Menschengesicht mehr sehen als ihres!«
»Danke schön!« Die Schwester lachte. »So ein verliebter Schäfer! Wer hätte das gedacht. Du überschätzest deine Beschaulichkeit, bloße Naturschwärmerei würde dich bald zu Tode langweilen.«
»Möglich, aber dies endlose Phrasengerassel sprengt uns das Trommelfell, bei dieser politischen Maschine kommt man auch unter die Räder, wenn nicht gebremst wird. Hätt' ich doch Bernhards Gottvertrauen! Dem armen Kerl stirbt sein Ältester, und daraus schließt er, er müsse Gottes Gebote noch genauer befolgen. Das sei eine heilsame Schickung. Na, wenn ich vor Ärger in Berlin krepiere, so trage du auch diese Prüfung, Malwinchen, mit christlicher Fassung!« –
Seine Braut schrieb ihm grämliche Briefe niedergeschlagener Stimmung, nichts freue sie mehr, sie sei voll Trübsal und lebensüberdrüssig und in Gottes Willen ergeben, worauf er sie derb zurechtwies: »Das schmeckt mehr nach Byron als nach Christentum«, und ihr verhieß: »Morgen sende ich dir einen neuen Hut«, was er nach gewohnter Unsitte wieder englisch schrieb. Übrigens seien die
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