Bismarck 01
Tochter. Hierin tat man jedoch der geistig sehr beweglichen Fürstin unrecht, die allein den Maßstab ihrer vorzüglichen ästhetischen Bildung anlegte und sich vom arroganten Barbarentum des Zaren Nikolaus naturgemäß abgestoßen fühlte. Leider verband sich damit verkehrte übertriebene Vorliebe für die Westmächte, was auch ihre politischen Absichten beherrschte. Wohl tat sie sich etwas darauf zugute, daß sie als Kind zwischen Goethes Knien gespielt habe, und hielt die Weimarer Klassikertradition hoch. Doch englisches und französisches Wesen schien ihr, besonders in dem für Frauen so bestechenden äußeren Schliff, dem deutschen weit überlegen, sozusagen von vornehmerem Geblüt. Den pp. Bismarck würdigte die hohe Frau keines Blickes der Gnade, sie hielt ihn für einen verkappten Bärenhäuter, obschon er einen guten Schneider und eine gute Kinderstube hinter sich zu haben schien. Sie säuselte an ihm nichtachtend vorüber, es wäre ja kompromittierend gewesen, einen Menschen zu grüßen, der weder liberal noch populär war, welche beiden Eigenschaften für die Auffassung der Prinzessin Augusta in eins zusammenfielen. Gleichwohl dachte das prinzliche Paar, obschon es die Mode des Verfassungsstrebens voll Überzeugung mitmachte, le dernier cri, très-chic , nicht im entferntesten daran, die königliche Macht ernstlich schmälern zu lassen. Vielmehr ruhten die Blicke des Prinzen, der in der sogenannten Herrenkurie des Vereinigten Landtages sah, wohlgefällig auf der stattlichen Erscheinung des kühnen royalistischen Kämpen. Bei vereinigten Sitzungen beider Kammern zeichnete er diesen sogar durch vertrauliche Anreden aus, etwa so: »Bravo, mein lieber Bismarck! Mir ganz aus der Seele gesprochen!« »Die Haltung, welche Sie hier annehmen, macht Ihrem Herzen wie Ihrem Verstande Ehre!« »Recht wie ein alter Edelmann von echtem Schrot und Korn!« Bei Hofe aber verhielt er sich zurückhaltend und ließ sich keineswegs darauf ein, durch äußere Zeichen seine Billigung des Ultraroyalismus zu bekunden.
Otto der Starke ließ sich darüber keine grauen Haare wachsen, sondern haspelte noch rasch eine Menge ständischer Geschäfte ab, wozu er unter anderem mit seinem Freunde Gerlach zum Minister Alvensleben auf dessen Gut Erxleben fuhr, wo man sich die Köpfe rot redete und trank. Von den Türmen dieses altertümlichen Schlosses sah man weit nach dem Harz hinüber, wo der Brocken blaute und sogar das Brockenhaus ohne Nebel sich zeigte. Die Giebel, Erker, Wendeltreppen, riesigen Himmelbetten machten ganz den Eindruck, als ob es hier spuke. Der nüchterne Märker schlief aber ungestört und gähnte morgens Gerlach zu, als er schon wieder im Bahnkupee saß: »Meine Braut will mitmir Jean Paul lesen am blauen Alpensee, und dazu soll ich mir einen schwarzen Samtrock beschaffen wie ein Künstler, das stände mir gut. Na, ich hab' manchmal auch solche romantischen Ideen, aber in meinem Hirn sieht es so staubig aus, wie auf einer ausgefahrenen Chaussee, so tintig und papieren wie ein Landtagsbeschluß, und die Alpen würde ich nicht ansehen, wenn die Preußische Allgemeine Zeitung danebenläge. Hol's der Henker, ich werde die märkische Prosa nicht los.«
»Sie bleiben immer der alte Kindskopf!« unterbrach ihn Gerlach und stürzte sich mit gewohnter Aufregung in allerlei politische Paradoxe, die er zäh verteidigte und nicht locker ließ. Doch, nachdem er sich lange ereiferte, hatte er den Schmerz, seinen schweigenden Zuhörer plötzlich fragen zu hören: »Sie, in welchem Kostüm holt man die Braut heim als Ritter nach langer Irrfahrt? In grünem Reitrock mit rotbraunen Handschuhen oder als Kavalier mit wallenden Straußenfedern und melodiöser Gitarre?«
»Ach, mit Ihnen ist nicht zu reden!« fuhr Gerlach ärgerlich auf. »Heirate endlich, daß wir den Schaden los werden! Übrigens fahr' ich im August mit Thadden und Blanckenburg nach München, um berühmte Leute zu sehen, die dort wild wachsen, ein hierzulande unbekanntes Kraut. Das wär' was für die Hochzeitsreise!«
»Berühmte Leute und andere große Geister betrachtet man am liebsten aus der Ferne wie Bergspitzen, da wirken sie am größten, in der Nähe langweilig. Unsereins wird doch nie berühmt, und wozu soll man sich künstlich noch neidischer machen! Bei Neid und Schadenfreude fällt mir unsere neue Zeitung ein, die Neue Preußische, die wir morgen endgültig gründen wollen. Die muß beißen, daß die liberale Presse alle Viere von sich streckt.«
*
Nun
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