Bismarck 01
widersetzten, bilden sie heut eine Phalanx um den Thron. Das ist herrlich poetisch, eine Auferstehung der Ritterzeit, wo noch wahres Christentum sich in vornehmen Formen ausprägte. Geschwätzige Toren nennen dies Feudalismus. Es war viel mehr, gegründet auf tiefem Bedürfnisder Menschennatur. Kennen Sie ›Die Kronenwächter‹ von Achim Arnim? Nicht? Ein wunderbarer Roman, die romantische Schule empfand tief das innerste Wesen des Deutschtums. Sollten Sie lesen, die Arnims sind ja auch Verwandte von Ihnen, weiß schon, habe mich um Ihre Personalien bekümmert. Sie stammen aus alter Ritterfamilie, haben vererbte gesunde Instinkte. Was denken Sie nun eigentlich über Konstitutionalismus?«
»Gar nichts denke ich davon, halten zu Gnaden, Majestät. Der alte Napoleon hat gesagt: Bin ich ein konstitutionelles Mastschwein? Ich lebte selber früher in Irrtümern. Nachdem aber der selige Landtag von seinen Sünden erlöst ist, d. h. Eure Majestät ihn aufgelöst haben, werde ich kein Blatt vor den Mund nehmen. Diese sogenannten Parlamentarier sind lauter Dilettanten. Gibt man ihnen das Steuer in die Hand –«
»Was Gott verhüte!« fiel der König ein. »Und ich bin auch noch da!«
»Dann geht der Staat in Scherben. Lauter Ideologen – das Wort verdankt man auch dem verflossenen Bonaparte – ohne jedes Verständnis für historische Entwickelung. Die wollen im Mai Birnen schütteln. So geht das nicht. Eure Majestät haben allergnädigst viele Konzessionen gemacht, aber nicht nur die Kirche, wie Goethe sagt, hat einen guten Magen, sondern auch die Demokratie. Reicht man ihnen den Finger, wollen sie die Hand und hernach renken sie den Arm aus den Gelenken. Nicht weiter! Fest den Fuß vorgesetzt!«
»Na, Sie leben gewiß auf einem großen Fuß, nach Ihrer Statur zu schließen.« Der geistreiche König konnte nie unterlassen, einen Witz zu reißen. »Das is ja allens janz scheene. Aber Sie sind noch jung und in Ihrer Weise ein Idealist, was ich begrüße. Ein König von Gottes Gnaden, der nur Gott verantwortlich ist, aber ihm auch voll und ganz, darf nicht so sans gêne agieren. Lernen Sie, hohe Politik zu machen, vielleicht werde ich Ihr Lehrer sein.« Bismarck verneigte sich tief, ergriffen von so viel Herablassung eines geistig Überlegenen. »Dies Gespräch könnte zu Mißverständnissen führen. Kommen wir daher zu Herrn v. Radowitz, meinem Militärbevollmächtigten am Deutschen Bundestag. Seine Denkschrift, von der ich insgeheim Kenntnis erhielt, wird erscheinen. Er wird darin über die Untätigkeit des Deutschen Bundes klagen, was sowohl materiellen als noch größeren ideellen Schaden verursache. Allgemein herrsche das sehnende Streben nach einer deutschen Gemeinschaft, und dieser populären Stimmung, die sich aller Geister bemächtigte, müsse man Rechnung tragen. Dieser Drang stimmte überein mit Preußens Lebensbedürfnis. Was sagen Sie dazu?« brach der König rasch ab.
»Daß General v. Radowitz die Wahrheit sagt. Preußens Machtmittel sind unzulänglich, unser Leib zu schmal für unsere Rüstung, die wir unaufhörlich anschnallen müssen, um uns zuerhalten. Fester Verein mit dem übrigen Deutschland tut uns not, zum mindesten mit Norddeutschland.«
»Ganz gut«, unterbrach der König. »Aber meine Herren Vetter in Kassel und Braunschweig sind nicht gerade dazu angetan, die Sympathien der deutschen Nation zu gewinnen.«
»Dann muß man sie tunlichst eliminieren«, versetzte Bismarck kühl. »Ich möchte nicht sagen: beseitigen, was meinem monarchischen Empfinden zuwiderläuft, indessen quand même –« Er sah den König an und der lächelte. »Preußen muß sich mit dem besseren Geiste Deutschlands verbinden, d. h. die Führung übernehmen zu neuer Einigung im Geist des Jahrhunderts. Auf volkswirtschaftlichem Boden geschah es schon, wie der Zollverband lehrt.«
»Da sind wir völlig d'accord . Mein Freund Bunsen ist gleicher Meinung. Jawohl, Preußen muß in Deutschlands Wiedergeburt sich selbst erst recht finden.« Der König sprach dies mit feierlicher Salbung. Große romantische Visionen schwebten vor seinen Seheraugen. Eine unendliche Gedankenflucht unklarer Vorstellungen gaukelte an ihm vorüber. »Mein lieber Bismarck, Sie haben offenbar meine Intentionen begriffen, und ich danke Ihnen für Ihre Auseinandersetzungen.« Worauf Seine Majestät noch eine halbe Stunde zu deklamieren geruhten. Die Unterredung hinterließ gleichwohl einen tiefen Eindruck auf den ergebenen Vasallen, der seiner Frau
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